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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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aber ich weiß mich nicht zu erinnern.«
    Die Blandini blieb ein paar Augenblicke ratlos stehen. Plötzlich fiel ihr etwas ein. Sie suchte in ihrer Tasche und atmete erleichtert auf. Vielleicht paßt er, flüsterte sie und hielt ihren eigenen Garderobeschlüssel in der Hand. Sie gab dem Portier die Laterne wieder zu halten, und hastig versuchte sie den Schlüssel. Er paßte. Sie drehte ihn ein-, zweimal im Schlosse um; sie drückte auf die Schnalle, die Tür ging auf. – Ihr gegenüber gerade am Fenster schien eine ungeheuer lange Gestalt zu lehnen. Es ist ein Kostüm, dachte sie im ersten Augenblick. Sie riß dem Portier die Laterne aus der Hand, hielt sie hoch, – schrie auf. »Um Gotteswillen,« rief der Portier und stürzte zum Fenster hin. Es war, als stände Herr Friedrich Roland lebendig dort, seine Arme hingen schlaff herab, der Kopf fiel tief auf die Brust herab. Er war im Kostüme, das er abends getragen; sogar den falschen Schnurrbart hatte er noch; nur die Perücke war fort, und seine dünnen, straffen, grauen Haare starrten zerzaust.
    »Aufgehängt hat er sich,« stieß der Portier hervor ... »aufgehängt.« Er stellte die Laterne auf das Tischchen zu den Schminktöpfen und der Perücke. Dann griff er nach den Händen des Toten und fuhr längs der Arme bis zum Hals hinauf ... »Mit dem Schnupftüchel,« sagte er. »Ja, was sollen wir denn tun, Fräulein?«
    Die Blandini stand regungslos und starrte den Leichnam an.
    »Wissen Sie, Fräulein,« sagte der Mann, »ich werd' vielleicht den Herrn von unten heraufholen, und ich geh' unterdessen zur Polizei, die Anzeige machen.«
    Jetzt zuckte die Blandini leicht zusammen, dann antwortete sie leise: »Ja, geh'n Sie zur Polizei, ich bleib da ... aber dem Herrn unten sagen Sie, er soll fortgehen, schnell fortgehen soll er, daß ich ihn nimmer seh', sagen Sie ihm das, und wenn ich ihn noch unten treff', sagen S' ihm, spuck' ich ihm ins Gesicht.«
    Die letzten Worte schrie sie so laut, daß der Portier zusammenfuhr und daß sie ihm noch in den Ohren gellten, als er im Dunkel über die leere Bühne lief.

Arthur Schnitzler
Die Toten schweigen

Er ertrug es nicht länger, ruhig im Wagen zu sitzen; er stieg aus und ging auf und ab. Es war schon dunkel; die wenigen Laternenlichter in dieser stillen, abseits liegenden Straße flackerten, vom Winde bewegt, hin und her. Es hatte aufgehört zu regnen; die Trottoirs waren beinahe trocken; aber die ungepflasterten Fahrstraßen waren noch feucht, und an einzelnen Stellen hatten sich kleine Tümpel gebildet.
    Es ist sonderbar, dachte Franz, wie man sich hier, hundert Schritt von der Praterstraße, in irgend eine ungarische Kleinstadt versetzt glauben kann. Immerhin – sicher dürfte man hier wenigstens sein; hier wird sie keinen ihrer gefürchteten Bekannten treffen.
    Er sah auf die Uhr ... Sieben – und schon völlige Nacht. Der Herbst ist diesmal früh da. Und der verdammte Sturm.
    Er stellte den Kragen in die Höhe und ging rascher auf und ab. Die Laternenfenster klirrten. »Noch eine halbe Stunde,« sagte er zu sich, »dann kann ich gehen. Ah – ich wollte beinahe, es wäre so weit.« Er blieb an der Ecke stehen; hier hatte er einen Ausblick auf beide Straßen, von denen aus sie kommen könnte.
    Ja, heute wird sie kommen, dachte er, während er seinen Hut festhielt, der wegzufliegen drohte. – Freitag – Sitzung des Professorenkollegiums – da wagt sie sich fort und kann sogar länger ausbleiben ... Er hörte das Geklingel der Pferdebahn; jetzt begann auch die Glocke von der nahen Nepomukkirche zu läuten. Die Straße wurde belebter. Es kamen mehr Menschen an ihm vorüber: meist, wie ihm schien, Bedienstete aus den Geschäften, die um sieben geschlossen wurden. Alle gingen rasch und waren mit dem Sturm, der das Gehen erschwerte, in einer Art von Kampf begriffen. Niemand beachtete ihn; nur ein paar Ladenmädel blickten mit leichter Neugier zu ihm auf. – Plötzlich sah er eine bekannte Gestalt rasch herankommen. Er eilte ihr entgegen. Ohne Wagen? dachte er. Ist sie's?
    Sie war es; als sie seiner gewahr wurde, beschleunigte sie ihre Schritte.
    »Du kommst zu Fuß?« sagte er.
    »Ich hab' den Wagen schon beim Karltheater fortgeschickt. Ich glaube, ich bin schon einmal mit demselben Kutscher gefahren.«
    Ein Herr ging an ihnen vorüber und betrachtete die Dame flüchtig. Der junge Mann fixierte ihn scharf, beinahe drohend; der Herr ging rasch weiter. Die Dame sah ihm nach. »Wer war's?« fragte sie ängstlich.
    »Ich

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