Erzaehlungen
kann während des Fahrens nicht ordentlich reden.«
Emma zog den Schleier herunter und folgte.
»Nicht stürmisch nennst du das?« rief sie aus, als ihr gleich beim Aussteigen ein Windstoß entgegenfuhr.
Er nahm ihren Arm. »Nachfahren«, rief er dem Kutscher zu.
Sie spazierten vorwärts. So lang die Brücke allmählich anstieg, sprachen sie nichts; und als sie beide das Wasser unter sich rauschen hörten, blieben sie eine Weile stehen. Tiefes Dunkel war um sie. Der breite Strom dehnte sich grau und in unbestimmten Grenzen hin, in der Ferne sahen sie rote Lichter, die über dem Wasser zu schweben schienen und sich darin spiegelten. Von dem Ufer her, das die beiden eben verlassen hatten, senkten sich zitternde Lichtstreifen ins Wasser; jenseits war es, als verlöre sich der Strom in die schwarzen Auen. Jetzt schien ein ferneres Donnern zu ertönen, das immer näher kam; unwillkürlich sahen sie beide nach der Stelle, wo die roten Lichter schimmerten; Bahnzüge mit hellen Fenstern rollten zwischen eisernen Bogen hin, die plötzlich aus der Nacht hervorzuwachsen und gleich wieder zu versinken schienen. Der Donner verlor sich allmählich, es wurde still; nur der Wind kam in plötzlichen Stößen.
Nach langem Schweigen sagte Franz: »Wir sollten fort.«
»Freilich«, erwiderte Emma leise.
»Wir sollten fort,« sagte Franz lebhaft, »ganz fort, mein' ich ...«
»Es geht ja nicht.«
»Weil wir feig sind, Emma; darum geht es nicht.«
»Und mein Kind?«
»Er würde es dir lassen, ich bin fest überzeugt.«
»Und wie?« fragte sie leise ... »Davonlaufen bei Nacht und Nebel?«
»Nein, durchaus nicht. Du hast nichts zu tun, als ihm einfach zu sagen, daß du nicht länger bei ihm leben kannst, weil du einem andern gehörst.«
»Bist du bei Sinnen, Franz?«
»Wenn du willst, erspar' ich dir auch das, – ich sag' es ihm selber.«
»Das wirst du nicht tun, Franz.«
Er versuchte, sie anzusehen; aber in der Dunkelheit konnte er nicht mehr bemerken, als daß sie den Kopf erhoben und zu ihm gewandt hatte.
Er schwieg eine Weile. Dann sagte er ruhig: »Hab' keine Angst, ich werde es nicht tun.«
Sie näherten sich dem anderen Ufer.
»Hörst du nichts?« sagte sie. »Was ist das?«
»Es kommt von drüben«, sagte er.
Langsam rasselte es aus dem Dunkel hervor; ein kleines rotes Licht schwebte ihnen entgegen; bald sahen sie, daß es von einer kleinen Laterne kam, die an der vorderen Deichsel eines Landwagens befestigt war; aber sie konnten nicht sehen, ob der Wagen beladen war und ob Menschen mitfuhren. Gleich dahinter kamen noch zwei gleiche Wagen. Auf dem letzten konnten sie einen Mann in Bauerntracht gewahren, der eben seine Pfeife anzündete. Die Wagen fuhren vorbei. Dann hörten sie wieder nichts als das dumpfe Geräusch des Fiakers, der zwanzig Schritte hinter ihnen langsam weiter rollte. Jetzt senkte sich die Brücke leicht gegen das andere Ufer. Sie sahen, wie die Straße vor ihnen zwischen Bäumen ins Finstere weiter lief. Rechts und links von ihnen lagen in der Tiefe die Auen; sie sahen wie in Abgründe hinein.
Nach langem Schweigen sagte Franz plötzlich: »Also das letztemal ...«
»Was?« fragte Emma in besorgtem Ton.
»– Daß wir zusammen sind. Bleib' bei ihm. Ich sag' dir Adieu.«
»Sprichst du im Ernst?«
»Vollkommen.«
»Siehst du, daß du es bist, der uns immer die paar Stunden verdirbt, die wir haben; nicht ich!«
»Ja, ja, du hast Recht«, sagte Franz. »Komm, fahren wir zurück.«
Sie nahm seinen Arm fester. »Nein,« sagte sie zärtlich, »jetzt will ich nicht. Ich laß' mich nicht so fortschicken.«
Sie zog ihn zu sich herab und küßte ihn lang. »Wohin kämen wir,« fragte sie dann, »wenn wir hier immer weiter führen?«
»Da geht's direkt nach Prag, mein Kind.«
»So weit nicht,« sagte sie lächelnd, »aber noch ein bißchen weiter da hinaus, wenn du willst.« Sie wies ins Dunkle.
»He, Kutscher!« rief Franz. Der hörte nichts.
Franz schrie: »Halten Sie doch!«
Der Wagen fuhr immer weiter. Franz lief ihm nach. Jetzt sah er, daß der Kutscher schlief. Durch heftiges Anschreien weckte ihn Franz auf. »Wir fahren noch ein kleines Stück weiter – die gerade Straße – verstehen Sie mich?«
»Is' schon gut, gnä' Herr ...«
Emma stieg ein; nach ihr Franz. Der Kutscher hieb mit der Peitsche drein; wie rasend flogen die Pferde über die aufgeweichte Straße hin. Aber die beiden im Wagen hielten einander fest umarmt, während der Wagen sie hin- und herwarf.
»Ist das nicht
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