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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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nicht ertragen, er durfte es nicht dulden. Es war zu infam, was dieses Weib gewagt hatte. Er betrachtete sie mit einem wütenden Blick. War es nur möglich, daß dieses erbärmliche Weib, das hundert Liebhaber gehabt, mit jeder Miene, mit jeder Bewegung, während sie ihm die höchste Wonne gab, die arme Tote, die jetzt verweste, geradezu nachgeäfft? Und er lag da neben ihr ... Er schüttelte sich. Er erhob sich rasch, aber geräuschlos. Sie regte sich nicht. Er kleidete sich eilig an. Dann stand er vor ihr, neben dem Bett. Sein Blick verfolgte die Linien ihres Halses. Es war ihm jetzt, als hätte dieses Weib einen fürchterlichen Diebstahl verübt und als wäre seine tote Therese eine Beraubte und Betrogene ... Nein, das dürfte nicht sein, daß sie tot im Sarge läge und das Fleisch von ihren Knochen fiele, während die andern weiterleben und lachen und ihm sein dürfen, was ihm Jene war, ihm gewähren, was Jene ihm früher gewährt! Er schämte sich, daß nicht alles Glück der Erde zugleich mit ihr begraben war.
    Jetzt regte sie sich wieder, geradeso wie Therese sich im Schlummer gestreckt und gedehnt. Sie öffnete die Augen ... ja, wie sie. Es zuckte um ihre Lippen – ja, ganz so ... Ah, und jetzt auch noch das? ... Sie öffnete die Arme, als wollte sie ihn an sich ziehen ... »Sprich!« rief er. Er wollte die Stimme hören. Das hätte ihm die entweichende Besinnung wiedergegeben. Aber sie sprach nicht. »Sprich!« rief er noch einmal mit halberstickter Stimme. Aber sie sah ihn an, ohne zu verstehen, und streckte wieder die Arme aus. Er sah um sich, suchte irgend etwas, das ihn befreien konnte. Hier auf der Kommode, dem Bett gegenüber, lag der Hut, noch steckte die Nadel drin; er zog sie heraus, und indem er sie in die linke Faust nahm, stach er sie dem Weibe durchs Hemd in die Brust ... Er hatte gut getroffen. Sie hob sich krampfhaft in die Höhe, stieß einen Schrei aus, fuhr mit den Armen hin und her, packte die Nadel, hatte die Kraft nicht, sie aus der Wunde zu ziehen, und sank zurück.
    Gustav stand neben ihr, sah sie zucken, die Augen verdrehen, nochmals den Kopf heben, wieder zurücksinken ... sterben ... Dann erst zog er die Nadel aus der Wunde ... es war gar kein Blut daran. Er verstand eigentlich gar nicht, was geschehen war. Plötzlich aber wußte er es. Er lief zum Fenster ins Nebenzimmer, hielt den Vorhang hoch, steckte den Kopf hinaus und schrie hinunter, so laut er konnte: »Mörder! Mörder!« Er sah noch, wie die Leute zusammenliefen, sah, wie man heraufdeutete, dann entfernte er sich vom Fenster, setzte sich ruhig auf den Sessel und wartete. Ihm war, als wäre das sehr gut, was er getan. Er dachte an seine Frau, die schon lang im Sarge lag und der die Würmer in die Augenhöhlen kröchen, und zum ersten Mal seit ihrem Tod fühlte er irgend etwas wie Frieden in seiner Seele.
    Jetzt wurde heftig geklingelt, Gustav stand rasch auf und öffnete. – – –

Arthur Schnitzler
Leutnant Gustl

Wie lange wird denn das noch dauern? Ich muß auf die Uhr schauen ... schickt sich wahrscheinlich nicht in einem so ernsten Konzert. Aber wer sieht's denn? Wenn's einer sieht, so paßt er gerade so wenig auf, wie ich, und vor dem brauch' ich mich nicht zu genieren ... Erst viertel auf zehn? ... Mir kommt vor, ich sitz' schon drei Stunden in dem Konzert. Ich bin's halt nicht gewohnt ... Was ist es denn eigentlich? Ich muß das Programm anschauen ... Ja, richtig: Oratorium! Ich hab' gemeint: Messe. Solche Sachen gehören doch nur in die Kirche! Die Kirche hat auch das Gute, daß man jeden Augenblick fortgehen kann. – Wenn ich wenigstens einen Ecksitz hätt'! – Also Geduld, Geduld! Auch Oratorien nehmen ein End'! Vielleicht ist es sehr schön, und ich bin nur nicht in der Laune. Woher sollt' mir auch die Laune kommen? Wenn ich denke, daß ich hergekommen bin, um mich zu zerstreuen ... Hätt' ich die Karte lieber dem Benedek geschenkt, dem machen solche Sachen Spaß; er spielt ja selber Violine. Aber da wär' der Kopetzky beleidigt gewesen. Es war ja sehr lieb von ihm, wenigstens gut gemeint. Ein braver Kerl, der Kopetzky! Der einzige, auf den man sich verlassen kann ... Seine Schwester singt ja mit unter denen da oben. Mindestens hundert Jungfrauen, alle schwarz gekleidet; wie soll ich sie da herausfinden? Weil sie mitsingt, hat er auch das Billett gehabt, der Kopetzky ... Warum ist er denn nicht selber gegangen? – Sie singen übrigens sehr schön. Es ist sehr erhebend – sicher! Bravo! Bravo! ... Ja,

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