Erzaehlungen
ermutigte ihn, und mit einer wahren Freude an seinen eigenen Worten und an ihrem Zuhören kam er immer mehr ins Erzählen: wie er seine Tage verbringe, daß er seit einiger Zeit verwitwet sei ... er sprach das Wort aus, als sei es etwas ganz Gewöhnliches, und doch wußte er, daß er es bis heute, auf sich bezüglich, noch nie ausgesprochen. Es tat ihm wohl, daß seine Begleiterin ihn darauf mit einem bedauernden Blicke ansah.
Dann berichtete sie von sich. Er erfuhr, daß sie die Geliebte eines sehr jungen Mannes sei, der jetzt eben mit seinen Eltern für einige Wochen auf dem Lande lebe und erst in drei Wochen zurückkommen sollte.
»Sonst is' er immer um sieben Uhr abends bei mir, und das bin ich schon so gewohnt, daß ich gar nicht weiß, was ich mit der Zeit anfangen soll, wenn er nicht da is'. Sonst is' natürlich er mit mir spazierengegangen, jetzt muß ich allein herumlaufen; er weiß gar nix davon ... oh, er dürft' gar nix davon wissen, er is' ja so eifersüchtig! Aber ich bitt' Sie, kann man denn verlangen, daß ich an den schönen Abenden im Zimmer sitz' – no, nicht wahr? Da red' ich alleweil mit Ihnen ... das sollt' ich doch schon gewiß nicht. Aber schaun S', wenn man so acht Tag' lang mit niemandem ein vernünftiges Wort gesprochen hat, so is' es eine rechte Erholung.«
Sie waren in der Nähe ihrer Wohnung.
»Wollen Sie schon nach Haus gehen, Fräulein?« sagte er. »Setzen wir uns doch noch ein bißl in den Stadtpark und plauschen weiter.«
Sie kehrten um, gingen die paar Schritte zum Stadtpark, und in einer recht dunklen Allee setzten sie sich auf eine Bank. Sie saß ganz nahe bei ihm, er schloß halb die Augen, und da sie schwieg, hatte er wieder ganz die Empfindung, als säße seine Frau neben ihm. Doch als sie wieder zu reden anfing, zuckte er zusammen. Es war ihm, als hätte diese Frau neben ihm, gerade während sie schwieg und ihn ihre Nähe und Wärme fühlen ließ, wie mit Absicht die Tote nachzuäffen versucht. Und wieder fuhr ihm die Idee durch den Kopf, sie wüßte, was in ihm vorging. Ein leichter Ärger regte sich in ihm. Er fühlte, daß hier eine gewisse Macht über ihn ausgeübt wurde, zu der es kein Recht gab und von der er sich befreien muß. Wer war denn diese Person? Eine Frau wie viele andere, die ihn gar nichts anging; die Geliebte eines jungen Mannes, der jetzt mit seinen Eltern auf dem Land war, und vorher wohl die Geliebte von zehn oder hundert andern. Und doch – es half nichts, durch ihr Kleid strömte dieselbe Wärme zu ihm herüber wie von seiner gestorbenen Frau. Sie hatte den gleichen Gang, den gleichen Nacken und ein sonderbares Zucken um die Lippen, ganz wie sie. Er drängte sich näher an sie. Von ihren Haaren kam ein Duft, den er begierig einatmete. Es verlangte ihn, ihren Hals zu küssen, er tat es, sie ließ es geschehen. Jetzt sagte sie irgend etwas, so leise, daß er es nicht verstand. Er fragte, die Lippen noch an ihrem Hals: »Was, Therese?«
»Ich muß nach Hause gehen, es wird spät.«
»Was haben Sie denn zu tun?«
»Ah, nicht deswegen«, antwortete sie und stand plötzlich auf. Jetzt war sie wieder vollkommen eine andere. Er bekam eine wahre Lust, ihr zu drohen wie jemandem, der sich etwas anmaßt, das ihm nicht zukommt. Es war ihm, als hätte er eine zu verteidigen, die selbst nicht mehr dazu imstande wäre. Er stand auf, griff nach ihrer Hand, drückte ihr Handgelenk, wollte ihr weh tun. Aber da schwand sein Zorn wieder, sein Druck wurde leiser, zärtlicher, und nah, beinah aneinandergeschmiegt, verließen sie den Garten.
Sie sprachen auf dem Heimweg nichts. Beim Haustor blieb sie stehen. »Ich danke schön für die Begleitung«, sagte sie.
»Darf ich nicht mit Ihnen ...?«
»Oh!« sagte sie, »was fallt Ihnen ein! Wenn der Hausmeister was merkt – gleich wüßt's das ganze Haus. Na, und dann ...«
Gustavs Augen glühten. Sie sah ihn beinah mitleidig, aber sehr angenehm berührt an.
»Wissen Sie was«, sagte sie dann ganz leise, »morgen Nachmittag um vier – da is' 's nicht auffallend. Da kommen Sie noch bei Tag aus 'm Haus.«
Er nickte wie befreit.
»Also adieu, jetzt müssen S' gehen.« Sie entzog ihm ihre Hand, die er noch in der seinen hatte, und eilte die Treppen hinauf.
Gustav tat in dieser Nacht kein Auge zu. Im dumpfen Halbschlummer dachte er an die Tote, und es war ihm, als müßte er sie an der Lebenden rächen, die ebenso duftete, die gleiche Wärme von sich strömte und dieselben Begierden entfesselte wie jene, die nun im
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