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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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Mann in ein Kloster gegangen war. Der Gedanke dieser Möglichkeit beruhigte ihn.
    Nachmittags lag er wieder auf dem Bette, abends ging er fort. Er kannte seinen Weg. Er ging an dieselbe Stelle, zu der gleichen Bank, auf der er gestern gesessen. Er wartete, und als er seine Gedanken freiließ und in der Schwüle des Abends in eine Art von Halbschlummer verfallen war, erwachte er mit der Empfindung, daß er seine Frau erwarte. Diese Vorstellung trat so entschieden auf, daß er sie mit Aufgebot seines Willens verscheuchen mußte. Er wartete und hoffte zugleich, daß die Erwartete nicht kommen würde. Er war verwirrt und müde und hatte das Gefühl, irgendwie wehrlos preisgegeben zu sein und einem Schicksal entgegenzugehen, das ihm bestimmt war. Viele Leute kamen vorüber, auch Frauen und Mädchen; sie hatten nicht mehr Bedeutung für ihn als Bilder, die er zufällig im Durchblättern eines Buchs gefunden hätte, während er ein ganz bestimmtes suchte. Plötzlich fiel ihm ein: Wenn sie nicht vorüberkommt? Nun, wenn auch nicht, er wußte ja, wo sie wohnte, könnte vor dem Tore warten, in das Haus treten, die Stiege hinaufgehen ... nein, das würde er keineswegs; wer weiß, ob sie allein wohnte ... Aber keinesfalls kann sie ihm entgehen.
    Es wurde spät; die Dunkelheit schritt vor. Plötzlich erblickte er die Erwartete. Aber sie war an ihm vorbeigeschritten, ohne daß er sie erkannt hatte. Wieder war es erst der Gang, durch den sie ihm auffiel. Sein Herz klopfte heftig. Er erhob sich rasch und folgte ihr. Es war ihm, als müßte er sie mit dem Namen seiner toten Gattin anrufen; doch fühlte er gleich, daß er das nicht durfte. Er ging so rasch, daß er ganz unversehens nahe neben sie gekommen war. Sie wandte den Kopf nach ihm und lächelte, als könnte sie sich seiner erinnern; dann aber schritt sie nur schneller vorwärts. Er folgte ihr wie in einem Rausch. Nun gab er sich vollkommen dem Wahn gefangen, daß es die Tote wäre; er kämpfte nicht mehr dagegen an. Seine Augen hafteten gebannt an ihrem Nacken. Er flüsterte den Namen der Toten, flüsterte ihn noch einmal lauter, er sprach ihn aus ... »Therese« ...
    Sie blieb stehen. Er war neben ihr, ganz erschrocken. Sie schaute ihm ins Gesicht, schüttelte den Kopf, erstaunt, und schickte sich an weiterzugehen. Mit halberstickter Stimme sagte er: »Ich bitte Sie ... ich bitte Sie ...« Sie antwortete ganz sanft: »Was wollen Sie denn?« Es war eine ganz fremde Stimme. Wenn er sich später dieses Moments erinnerte, sah er sich selbst immer um viele Jahre jünger, bartlos, fast wie ein Kind, denn sie schaute ihn an, wie man Kinder ansieht, die einem gefallen.
    Sie sprach weiter: »Woher kennen Sie mich denn? Woher wissen Sie denn, wie ich heiße?«
    Es kam ihm gar nicht sonderbar vor, daß sie wirklich so hieß wie die Verstorbene. Er sagte: »Ich habe Sie schon gestern ... gesehen.«
    »Ach so.« Sie glaubte offenbar, daß er sich im Hause nach ihrem Namen erkundigt. Er fühlte seinen Mut wachsen.
    »Ich hab's aber gespürt«, sagte sie, »gestern abend, daß wer hinter mir geht. Ich dreh' mich ja nie auf der Straßen um, aber man spürt's gleich. Is' 's nicht wahr?«
    Sie gingen nebeneinander her, und Gustav fühlte eine plötzliche Aufgeräumtheit, als hätte er ein paar Glas Wein getrunken.
    »Aber daß mich einer anred't, das is' mir schon lang net passiert. Freilich, es is' auch eine Seltenheit, daß ich so allein auf der Straße geh', am Abend. Bei Tag freilich, da is' 's was anderes – no, nicht wahr? – bei Tag hat man doch immer was in der Stadt zu tun?«
    Er hörte ihr zu. Ein Gefühl des Behagens kam über ihn. Der Klang dieser Frauenstimme tat ihm wohl. Als sie jetzt schwieg und ihn von der Seite lächelnd ansah, als erwartete sie ein Wort von ihm, sagte er: »Jetzt is' 's aber bei Tag so heiß; wenn man nicht muß, sollte man immer erst abends ins Freie. So kühl wie im Zimmer is' es bei Tag doch nirgends.« Er freute sich, daß er so leicht und gewandt reden konnte. Er hatte es gar nicht gehofft.
    »Da hab'n Sie schon recht. Und besonders dort, wo ich wohne ... na, Sie wissen ja ...«, sie lächelte dabei freundlich ..., »da kommt nie eine Sonne hin. Wirklich, ich muß schon sag'n: Wenn ich so zu Mittag auf'n Ring hinausgeh', das is' grad, wie wenn man in einen Glutofen käm'.«
    Dies gab ihm Anlaß, von der Hitze zu sprechen, die in seinem Büro herrschte, und von seinen Kollegen, die manchmal über der Arbeit einschliefen. Sie lachte darüber, das

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