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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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Strohhut in der Hand und affektierte einen großen, beinahe düstern Ernst. Er schien sehr gealtert, auch merkte sie, daß seine Kleidung eigentlich gar nicht elegant, sondern geradezu vernachlässigt sei. Sie mußte sich ihn plötzlich in einer zärtlichen Umarmung mit ihrer Schwägerin vorstellen und war sehr angewidert. Später setzte sie sich auf eine Bank und sah zu, wie Fritz mit andern Kindern spielte, immer mit gespannter Aufmerksamkeit, um nicht an anderes denken zu müssen.
    Am Abend war sie bei den Verwandten. Sie hatte die Empfindung, als hätte sie alles längst geahnt; denn wie wäre ihr sonst die Art der Beziehungen zwischen Schwager und Schwägerin nicht früher aufgefallen. Der Schwager machte wieder seine Scherze über Bertas Reise nach Wien, er fragte, wann sie wieder hineinfahren und ob man nicht bald von ihrer Verlobung hören würde. Berta ging auf die Scherze ein und erzählte, daß sich mindestens ein Dutzend um ihre Hand bewürben, darunter ein Minister; aber sie fühlte, daß nur ihre Lippen sprachen und lächelten, während ihre Seele ernst und schweigend blieb. Richard saß neben ihr und berührte zufällig mit seinem Knie das ihre, und als er ihr ein Glas Wein einschenkte und sie abwehrend seine Hand ergriff, fühlte sie eine wohlige Wärme an ihrem Arme bis in die Schulter gleiten. Sie war darüber zufrieden. Es schien ihr, als beginge sie jetzt eine Untreue. Und das war ganz recht: sie wollte, Emil wüßte, daß ihre Sinne wach wären, daß sie geradeso war, wie andere Weiber, und daß sie sich von dem jungen Neffen gerade so umarmen lassen konnte, wie von ihm ... Ah ja, wüßte er es nur! Das hätte sie ihm schreiben sollen! Nicht jenen demütig lüsternen Brief ... Aber auch unter dem Wellengang dieser Gedanken blieb der Grund ihrer Seele ernst, und ein Gefühl von Verlassenheit kam über sie, weil sie wußte, daß niemand ahnen konnte, was in ihr vorging.
    Als sie dann allein durch die leeren Straßen nach Hause ging, begegnete sie einem Offizier, den sie vom Sehen kannte, mit einer hübschen Frauensperson, die sie noch nie gesehen. Sie dachte: offenbar eine aus Wien. Denn es war ihr bekannt, daß die Offiziere manchmal derartige Besuche erhielten. Sie hatte ein Gefühl des Neides gegen diese Frau, sie wünschte, daß auch sie jetzt von einem hübschen, jungen Offizier nach Hause begleitet werden könnte ... Warum auch nicht? ... Alle sind schließlich so ... und sie ist jetzt auch keine anständige Frau mehr! Emil glaubt es ja auch nicht, und es ist alles so egal!
    Sie kommt nach Hause, entkleidet sich, legt sich zu Bett. Aber es ist zu schwül. Sie steht noch einmal auf, geht zum Fenster, öffnet es; draußen ist es ganz dunkel. Vielleicht sieht sie jetzt jemand am Fenster stehen, sieht ihre Haut durchs Dunkel leuchten .... Ja, wenn sie nur einer so sähe, es wäre ihr ganz recht! ... Dann legt sie sich wieder ins Bett ... Ach ja, sie ist nicht besser als die anderen! Und es ist auch gar nicht notwendig, daß sie's ist .... Die Gedanken verschwimmen ihr .... Ja, und er ist dran schuld, er hat sie dazu gemacht, er hat sie einmal genommen wie eine von der Straße – und dann fort mit dir! ... Ah, pfui, pfui – sind die Männer infam! – Und doch ... es war schön .....
    Sie schläft. –

    Am nächsten Morgen fiel ein langsamer, warmer Regen. So konnte Berta ihre ungeheure Ungeduld leichter ertragen, als wenn die Sonne herunterbrannte. Es war ihr, als hätte sich während des Schlafes manches in ihr geglättet. In der grauen Milde dieses Morgens erschien alles so einfach und durchaus nicht merkwürdig. Morgen wird der Brief da sein, den sie erwartet, und heute ist ein Tag wie hundert andere. Sie gab ihre Lektionen. Mit ihrem Neffen war sie heute sehr streng und klopfte ihm auf die Finger, als er gar zu schlecht spielte. Er war ein fauler Schüler, nichts weiter.
    Nachmittag kam sie auf eine Idee, die ihr selbst höchst lobenswürdig vorkam. Schon lange hatte sie sich vorgenommen, ihren Buben lesen zu lehren, heute sollte der Anfang gemacht werden, und sie plagte sich richtig eine gute Stunde damit, ihm einige Buchstaben beizubringen.
    Es regnete noch immer; schade, daß man nicht spazieren gehen konnte! Der Nachmittag wird lang, sehr lang werden. Sie sollte doch endlich zu Rupius gehen. Es ist häßlich, daß sie noch nicht bei ihm war, seit sie zurück ist. Es ist wohl möglich, daß er sich ein wenig vor ihr schämt, weil er neulich so große Worte gebraucht hat; – und nun

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