Erzaehlungen
mehr: es ist mir, als wenn ich etwas ganz Gutes, als wenn ich etwas Besonderes getan hätte. Ja, Frau Rupius, es ist nun einmal so, ich bin stolz seitdem!«
»Nun, dazu liegt wohl auch kein Grund vor,« sagte Frau Rupius, indem sie Bertas Hand, die auf dem Tisch lag, wie in Gedanken streichelte.
»Das weiß ich ja, aber doch bin ich so stolz und komme mir ganz anders vor, als alle Frauen, die ich kenne. Sehen Sie, wenn Sie wüßten ... wenn Sie ihn kennten – es ist eine so seltsame Geschichte! Sie dürfen nämlich nicht glauben, daß das eine Bekanntschaft ist, die ich kürzlich gemacht habe – ganz im Gegenteil, Sie müssen wissen, ich bin in ihn verliebt, seit ich ein ganz junges Mädel war, zwölf Jahre ist das schon her, und lange Zeit hatten wir uns gar nicht gesehen, und jetzt – ist es nicht wunderbar? – jetzt ist er mein ... mein ... mein ... Geliebter!« Endlich hatte sie's gesagt, ihr ganzes Gesicht strahlte.
Frau Rupius sah sie mit einem Blick an, in dem etwas Spott und sehr viel Freundlichkeit lag. Sie sagte: »Ich freue mich, daß Sie glücklich sind.«
»Sie sind ja so gut! Aber sehen Sie, es ist doch andererseits wieder schrecklich, daß wir so fern voneinander sind; er lebt in Wien, ich hier, – ich glaube, ich werde das garnicht aushalten. Ich hab' auch nicht mehr das Gefühl, wie wenn ich hierher gehörte, insbesondere zu meinen Verwandten. Wenn die es wüßten .... .... nein, wenn die es wüßten! – Sie würden es übrigens garnicht glauben. Eine Frau wie meine Schwägerin zum Beispiel, – nun, ich bin überzeugt, die denkt gar nicht daran, daß so was überhaupt möglich ist.«
»Aber Sie sind wirklich sehr naiv,« sagte Frau Rupius plötzlich, beinahe aufgebracht. Sie lauschte. »Mir war, als hörte ich den Zug schon pfeifen.« Sie stand auf, ging zu der großen Glastür, die auf den Perron führt, und sah hinaus. Der Portier kam und ersuchte um die Fahrkarten, die er markieren wollte. Zugleich sagte er: »Der Zug nach Wien hat 20 Minuten Verspätung.«
Berta war aufgestanden und zu Frau Rupius getreten. »Warum haben Sie gemeint, daß ich naiv bin?« fragte sie schüchtern.
»Aber Sie kennen ja die Menschen gar nicht,« erwiderte Frau Rupius wie ärgerlich. »Sie haben ja gar keine Ahnung, unter was für Leuten Sie existieren. Ich versichere Sie, Sie brauchen gar nicht stolz zu sein.«
»Ich weiß ja, daß es sehr dumm von mir ist.«
»Ihre Schwägerin – das ist köstlich – Ihre Schwägerin –!«
»Was meinen Sie denn?«
»Ich meine, daß Ihre Schwägerin auch einen Geliebten gehabt hat.«
»Aber wie kommen Sie auf diese Idee!«
»Nun, sie ist nicht die Einzige in dieser Stadt.«
»Ja, es gibt gewiß Frauen, die ... aber Albertine –«
»Und wissen Sie, wer es war? Das ist sehr amüsant! Herr Klingemann!«
»Nein, das ist nicht möglich!«
»Allerdings ist es schon lange her; etwa zehn Jahre oder elf.«
»Aber zu der Zeit waren Sie ja selbst noch nicht hier, Frau Rupius.«
»O, ich hab' es aus der besten Quelle – Herr Klingemann selbst hat's mir erzählt.«
»Herr Klingemann selbst? – Ist es denn möglich, daß ein Mensch so gemein –«
»Das ist sogar ganz gewiß.« Sie setzte sich nieder, auf einen Sessel neben der Tür, Berta blieb neben ihr stehen und hörte ihr staunend zu. »Ja, Herr Klingemann .... er hat mir nämlich die Ehre erwiesen, gleich als ich in die Stadt kam, mir sehr lebhaft den Hof zu machen, auf Tod und Leben, wie man so sagt. Sie wissen ja selbst, was für ein widerwärtiger Kerl er ist. Ich hab' ihn ausgelacht, das hat ihn wahrscheinlich sehr gereizt, und offenbar hat er geglaubt, mich durch die Erzählung seiner Eroberungen von seiner Unwiderstehlichkeit zu überzeugen.«
»Aber vielleicht hat er Ihnen Dinge erzählt, die nicht wahr sind.«
»Manches wohl, aber diese Geschichte ist zufällig wahr .... Ah, was sind die Männer für ein Gesindel!« Sie sprach es mit dem Ausdruck tiefsten Hasses. Berta war ganz erschrocken. Nie hatte sie es für möglich gehalten, daß Frau Rupius solche Worte sprechen könnte. »Ja, warum sollen Sie nicht wissen, unter was für Menschen Sie existieren?«
»Nein, das hätt' ich nie für möglich gehalten! Wenn das mein Schwager wüßte –!«
»Wenn er es wüßte? Er weiß es so gut wie Sie, wie ich.«
»Wie!? Nein, nein!«
»Er hat sie ja erwischt – verstehen Sie mich! ... Herrn Klingemann und Albertine! So daß beim besten Willen kein Zweifel möglich war!«
»Ja, um Gotteswillen, was hat
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