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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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Rupius diesen Weg tragen würde. Sie wollte diesen Gedanken verscheuchen, aber er war in völliger Bildhaftigkeit da, der Leichenwagen stand vor dem Tor; dort, dieses Grab, das zwei Männer eben aufschaufelten, war für Frau Rupius bestimmt, und Herr Rupius wartete am offenen Grab. Er saß in seinem Rollstuhl, den Plaid auf den Knien, und starrte dem Sarg entgegen, den die schwarzen Männer langsam herantrugen .... Das war mehr als eine Ahnung, das war ein Wissen .... Aber woher kam ihr das? – Jetzt hörte sie Leute hinter sich reden; zwei Frauen kamen an ihr vorüber, die eine war die Witwe eines Oberstleutnants, der vor kurzem gestorben war, die andere die Tochter; beide grüßten sie und schritten langsam weiter. Berta dachte, daß diese beiden Frauen sie für eine treue Witwe halten würden, die noch immer ihren Gatten beweinte; sie kam sich wie eine Lügnerin vor und entfernte sich eilig. Vielleicht war irgendeine Nachricht da, am Ende ein Telegramm von Emil – das wäre ja nichts merkwürdiges ... sie standen einander doch nah genug ... Ob Frau Rupius noch daran denkt, was Berta ihr auf dem Bahnhof gesagt hat, ob sie vielleicht im Fieber davon redet ... Übrigens ist das ja so gleichgültig. Wichtig ist nur, daß Emil schreibt und daß Frau Rupius gesund wird ... Sie muß noch einmal hin, sie muß Herrn Rupius sprechen, er wird ihr schon sagen, was der Arzt von ihm wollte ... Und sie eilt zwischen den Rebengeländen den Hügel hinab, nach Hause .... Nichts ist gekommen, kein Brief, kein Telegramm ... Fritz ist mit dem Mädchen ausgegangen. Ah, wie allein ist sie! Sie eilt wieder zu Rupius, das Mädchen öffnet ihr. Es geht sehr schlecht, Herr Rupius ist nicht zu sprechen ....
    »Was fehlt ihr denn? Wissen Sie nicht, was der Doktor gesagt hat?«
    »Eine Entzündung, hat der Doktor g'sagt.«
    »Was für eine Entzündung?«
    »Oder hat er gar g'sagt, eine Blutvergiftung. Es wird gleich eine Wärterin vom Spital kommen.«
    Berta ging. Auf dem Platz vor dem Kaffeehaus saßen einige Leute, an einem Tisch ganz vorn Offiziere, wie gewöhnlich um diese Zeit. Die wissen nicht, was da oben vorgeht, dachte Berta, sonst könnten sie nicht da sitzen und lachen .... Blutvergiftung – ja, was hatte das zu bedeuten? ... Gewiß: es war ein Selbstmordversuch! ... Aber warum? ... Weil sie nicht fortreisen durfte – oder wollte? – Aber sie wird nicht sterben – nein, sie darf nicht sterben!
    Um die Zeit hinzubringen, besucht Berta ihre Verwandten. Nur die Schwägerin ist zu Hause, sie weiß schon von der Erkrankung der Frau Rupius, aber das berührt sie nicht sehr, und sie spricht bald von anderen Dingen. Berta erträgt es nicht und entfernt sich.
    Am Abend versucht sie, ihrem Buben Geschichten zu erzählen, dann liest sie die Zeitung, wo sie unter anderem auch wieder eine Ankündigung des Konzerts unter Mitwirkung Emils findet. Es kommt ihr ganz sonderbar vor, daß das Konzert noch immer bevorsteht und nicht schon längst vorüber ist.
    Sie kann nicht schlafen gehen, ohne noch einmal bei Rupius angefragt zu haben. Sie trifft die Wärterin im Vorzimmer. Es ist diejenige, die Doktor Friedrich immer zu seinen Privatpatienten schickt. Sie hat ein heiteres Antlitz und tröstliche Augen.
    »Unser Doktor wird die Frau Rupius schon herausreißen,« sagt sie. Und obzwar Berta weiß, daß diese Wärterin immer Bemerkungen solcher Art macht, fühlt sie sich doch beruhigter. Sie geht nach Hause, legt sich zu Bett und schlummert ruhig ein.

    Am nächsten Morgen wacht sie spät auf. Sie ist ausgeschlafen und frisch. Auf dem Nachtkästchen liegt ein Brief. Jetzt erst besinnt sie sich: Frau Rupius ist schwer krank, und das ist ein Brief von Emil. Sie greift so eilig nach ihm, daß der kleine Leuchter heftig schwankt, reißt das Kuvert herunter und liest:
    »Meine liebe Berta! Vielen Dank für Deinen schönen Brief. Er hat mich sehr gefreut. Aber Deine Idee, für immer nach Wien zu kommen, mußt Du Dir doch noch sehr wohl überlegen. Die Verhältnisse hier liegen ganz anders, als Du Dir vorzustellen scheinst. Es ist selbst für den einheimischen, gut akkreditierten Musiker mit der größten Mühe verbunden, halbwegs anständig bezahlte Lektionen zu bekommen, für Dich wäre es – wenigstens im Beginn – fast ein Ding der Unmöglichkeit. Zu Hause hast Du Deine gesicherte Existenz, Deinen Kreis von Verwandten und Freunden, Dein Heim, und schließlich, es ist der Ort, an dem Du mit Deinem Gatten gelebt hast, wo Dein Kind auf die Welt

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