Erzaehlungen
daran ... er sah sich wieder auf jener Brücke stehen und hörte die Wellen rauschen, den Regen herabtropfen. Er hatte schon zwei Nächte gewacht ... nun schlief er ein ... Ganz dunkel war es, als er aufwachte; der Junge hatte ihn leise und ängstlich gerüttelt. »Was gibt's?« fragte Weldein ... Kein Atemzug mehr vom Kopfpolster her ... »Ein Licht zünd an«, rief er mit verhaltener Stimme, aufspringend und sich zu seinem Weib herniederbeugend. Er rief: »Du ... du, du ... du ... hör doch?« Der Knabe kam mit dem Licht. Er traute sich nicht ganz heran. Der Vater nahm ihm das Licht aus der Hand und hielt es zum Kopfende des Bettes hin. Eine Minute vielleicht starrte er auf das blasse Gesicht, das auf dem weißen Polster lag. Hinter ihm der Bub weinte ... Weldein stellte das Licht auf das Nachtkästchen, wandte sich um zu ihm, und leise sagte er: »Hast recht, Franz, daß du weinst; die Mutter ist tot.«
IV
Der junge Weldein wollte Maler werden, und sein Vater war stolz darauf. Er mag erreichen, was mir nicht geglückt ist, dachte er. Aber die erste Zeit war schlimm genug! Die Künstlerschaft fing damit an, daß man den Jungen aus der Schule jagte. Er taugte nichts; er zeichnete während der Schulstunden und kümmerte sich nicht um die Dinge, die man von ihm verlangte. Und zu Hause! Da saß er zuweilen vor einem Blatt Papier und übte sein Talent; meist aber stand er müßig beim Fenster und starrte in die Luft. Dann ging er auch hinunter in den Hof, tollte herum mit den Buben und Mädeln. Spät abends erst kam der Vater; – nach der Arbeit das Wirtshaus, dann die Familie. – Und manchen Abend, wenn das Geld für die Schänke nicht mehr reichte, dann nahm er wohl den Jungen mit sich und spazierte durch die Straßen der Stadt. Und beinahe jeden Tag denselben Weg ... vor dem Klub vorbei, durch die lange Straße ... links ... links ... und zum Flusse hin. Und er dachte: »Was hätte aus ihm werden können, wenn ich das Geld hätte! Und jetzt wird er sich plagen müssen, bis man überhaupt bemerkt, daß er da ist ... er wird verhungern, bevor er etwas Großes geworden.« Und sie wanderten zusammen am Ufer des Flusses hin und her, arm beide, der alternde Vater mit den halberloschenen Augen in dem aufgedunsenen Gesicht und der Jüngling an seiner Seite mit dem sehnsüchtigen Blick ... Und manchmal sah ihn der Vater an und dachte, wie er selbst einmal so Herrliches gewollt und wie die Welt vor ihm schön und weit dagelegen. Und noch einmal, später, an jenem Abend, wo er reich geworden, ja noch einmal so schön und weit. Und von neuem ergriff ihn eine stille Verzweiflung ... wollte es denn nicht enden? Und dabei zog es ihn immer denselben Weg zur selben Brücke. Oh, es war besser, sich betrinken, als immer daran denken müssen! ... Der Franz zeichnete und malte weiter, Köpfe zumeist, in denen ein gewisser leidenschaftlicher Ausdruck steckte; der Vater glaubte Talent darin zu sehen; ja, er sagte ihm einige Male ... »Geh hin, zeige sie in der Akademie, vielleicht nehmen sie dich auf! ...« Aber der Junge entschloß sich nicht dazu; die Blätter wurden verstreut, und er selbst tat wochen- und monatelang nichts, gar nichts ... Dann kam es dazu, daß er dem Vater manchmal bei der Arbeit aushalf. Und es geschah auch, daß er mitten in der erbärmlichen Anstreicherei seinen wahren Genius erwachen fühlte, den groben Pinsel, die Farben, den ganzen Taglohn hinwarf, nach Hause eilte und sich ins Zimmer verschloß, um zu zeichnen oder zu malen. Da saß er stundenlang, und es war ihm, als müßte er etwas Großes, Herrliches vollenden. Und wenn es zu Ende war, war's wieder mißlungen. Er warf das Zeug in eine Ecke, und es begann wieder eine Zeit des Nichtstuns, in der er sein Geld in Gesellschaft leichtsinniger Kameraden vertrank und verspielte.
So vergingen die Monate und Jahre, und der Hausstand von Weldein Vater und Sohn fristete ein armseliges Dasein von Tag zu Tag. Und einmal, Franz stand damals im zwanzigsten Lebensjahre, kam er frühmorgens nach Hause, als die Sonne schon in die Stube hereinblickte. Der Vater lag nicht im Bette; er lag auf der Erde, atmete schwer, das Gesicht war rot; die grauen Haare, verwirrt, hingen in die Stirne herein. Franz schaute ihn lange an. Ihn schmerzte der Kopf; auch er war von einer durchschwärmten Nacht heimgekehrt; hatte seine letzten paar Groschen verspielt, wie sie sein Vater vertrunken hatte ... Ein leichter Schauer durchfuhr den jungen Mann. Welch ein Leben lag vor ihm! Welch ein
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