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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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durch die Gäßchen und Gassen; bald langsam, bald schnell; er dachte nicht daran, daß er noch keinen Bissen gegessen hatte ... Die halbe Stadt durcheilte er kreuz und quer, Tränen der Wut im Auge, und als der Abend kam, stand er wieder in jener langen Straße vor dem Branntweinladen, todmüde. Und wieder ging er hinein, setzte sich zu einem kleinen Tischchen und ließ sich ein Glas vom allerstärksten geben. Und wie er es vor sich stehen hatte und an die Lippen fuhren wollte, da konnte er nicht trinken; die Tränen flössen ihm über die Wangen, und das Gesicht in den Händen, schluchzte und weinte er wie ein Mann, der sein Liebstes verlor! Anfangs schaute man ihn wohl an; das hübsche Mädchen, das beim Schanktische stand, und auch die Leute, die sich in dem Laden neue Kräfte oder einen neuen Rausch holten; aber ernstlich kümmerte es ja keinen, und sie ließen den guten Mann da ruhig weinen, wie es ihm beliebte. Nach einer geraumen Weile wischte sich Weldein die Tränen aus dem Gesicht und trank seinen Branntwein aus ... Er ließ sich einen frischen geben, und dann wieder einen; er trank wohl eine Stunde lang. Auf der Straße brannten die Laternen; die Nacht brach herein. Ein dünner, warmer Regen fiel nieder. Das Wagengerassel wurde schwächer, der Menschenstrom spärlicher. Und Weldein trat wieder hinaus, er nahm den Hut vom Kopfe, ließ den Regen über seine Haare rieseln. Die Abendluft kühlte ihm die Stirne ... Langsam schritt er weiter ... so ruhig hatte er sich seit dem Morgen nicht gefühlt ... »Nun, an die Arbeit«, sagte er sich ... »Nun wirst du's finden.« Und zum hundertsten Mal wiederholte er sich ... »links – und es rauschte und hallte wider ...« Er schüttelte den Kopf ... »Das ist nicht alles ... das ist zu wenig.« Er schaute vor sich hin ... und plötzlich glitt ein Schein von Hoffnung über sein Gesicht ... »Vom Gebäude des Klubs aus bin ich hingegangen ... warten wir noch eine Weile, und dann machen wir's ebenso wie gestern. Ja, ja, so muß es gehen, und nun ruhig ... ruhig.« Und wieder spazierte er hin und her; nahm seine kurze Pfeife aus dem Sack, stopfte sie und zündete sie an ... Die Zeit wird schon vergehen ... Und Weldein durchkreuzte wieder die Stadt. »Sollte wohl einen Augenblick nach Hause schauen ... Ach, lassen wir's lieber ... Hm ... aber essen ... Im Gasthaus, wo mich gestern die Herren trafen? Nein, nein, später, wenn der Hunger kommt ...«
    Die Minuten und Viertelstunden schlichen hin ... endlos dehnte sich die Zeit. Ab und zu hatte Weldein auf einer Bank für eine kurze Weile geruht; dann war er wieder aufgestanden; die Mitternacht wollte nicht kommen. In den Straßen wurde es menschenleer ... Der Regen fiel heftiger als früher ... Dann wurde es wieder lebhaft in der Stadt; die Wagen fuhren zahlreicher, man begegnete auch mehr Fußgängern; die Theater waren aus. Also zehn Uhr vorbei ... Noch zwei Stunden bis dahin ... Und was tun bis zwölf Uhr ... Es zog ihn wieder unwiderstehlich in jene lange Straße. Essen? Nein, er konnte nicht. Aber trinken! ja ... Das beruhigt doch wieder ein wenig. Also wieder in die Schänke! Doch nein, nicht in die, wo man ihn schon kannte ... Lieber in irgendein Wirtshaus, um irgendeine Kleinigkeit zu essen. Es trinkt sich besser dabei ... So ... hier. Und er ging in ein kleines Wirtshaus, ließ sich eine Speise auftragen und trank Wein dazu. Er aß langsam; er wartete von Bissen zu Bissen. Über der Eingangstür war eine Uhr ... sie war wohl stehengeblieben ... Nein, nein, die Zeiger rückten nur so langsam. Draußen hörte er eine Turmuhr schlagen. Er zählte ... neun ... zehn ... elf ... Oh ... elf Uhr! und da ist eben dreiviertel vorüber ... Dieser Wirt! Natürlich. Damit man länger sitzt und mehr verzehrt. Er ließ sich eine Zeitung geben, las sie vom Anfang bis zu Ende durch, mit brennenden Augen, mit dem festen Willen, nur an das zu denken, was er las, aber er faßte kein Wort auf ... Er zahlte und ging. Die Uhr zeigte ein Viertel nach elf – es war also halb zwölf ... Einsam, tot die Straße. Langsam begab er sich nach dem Klubhaus ... Da war es – da lag es vor ihm; das Tor weit offen, die Fenster erleuchtet, glänzend inmitten der von matten flackernden Laternenlichtern erhellten Straße ... Das Herz klopfte ihm, als er, auf der gegenüberliegenden Seite stehend, das Gebäude betrachtete. Es kam ihm wie etwas Riesiges vor, wie eine steinerne Macht. Es schaute ihn an, wie er es anschaute ... Die strahlenden Fenster

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