Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
Vom Netzwerk:
waren hundert glühende Augen, die ihn verschlangen. Und der Augenblick trat ihm wieder ins Gedächtnis ... Der große Augenblick, in dem er die Bank sprengte und ein Gleichberechtiger war unter all den vornehmen Herren, die mit ihm am selben Tische saßen ... Da oben, ja ... Das waren die Fenster. Und jetzt fort ... noch einmal, noch einmal das Geld gewinnen!
    Er ging bedächtig ... er bog um die Ecke ... die lange, lange Straße ... weiter, noch weiter ... links ... er versuchte an nichts zu denken ... so ... gut. Da muß es gewesen sein ... und jetzt wieder eine andere Straße ... gut ... hier war es ... denn hier zog es ihn weiter ... so ... und nun ... ja ... dort ... es rauschte ... es rauscht ... wahrhaftig ... was ist das ... ah, der Fluß ... war es hier vielleicht ... gewiß ... nein ... ja! Da stand er ... Vor ihm, leise schäumend, glitzernd von den Laternen, die an seinen Ufern stehen, der Strom, der die Stadt durchschneidet. Und drüben wieder Häuserreihen ... und darüber der wolkenbedeckte Nachthimmel, von dem unaufhörlich der warme Regen niedertropfte. Seltsam mischte sich das Geräusch der fallenden Tropfen mit dem schläfrigen Brausen der Wellen. Also da? ... Und er schritt dem Ufer entlang; links ... dann kehrte er um ... rechts ... und dann hielt er inne an einem mächtigen steinernen Löwen, der ein Standbild am Ende einer Brücke vorstellte. Er betrat die Brücke, über die eben ein schwerer Wagen rollte ...
    Das Geräusch verlor sich. Stille ringsum, nur der Regen und die Wogen da unten. Und am Geländer lehnend schaute er hinab; ratlos, bebend ... »Was hat mich hierher geführt ... Mußte ich nicht hierher? Und jetzt?« Immer blickte er hinab ... es schwindelte ihn. Plötzlich ein schauerlicher Gedanke, daß er zusammenzuckte. »Vielleicht ... hab' ich's ins Wasser geworfen!« Und er begann wie ein Kind zu wimmern. »Ins Wasser geworfen ... weil ich betrunken war ... Betrunken hab' ich mich! Und warum denn? Da oben! Und warum hab' ich's denn verstecken wollen? Vor meiner Frau? Vor dem Kind? Hätten sie mir's denn gestohlen? War ich denn verrückt! Was hab' ich denn getan? ... Was hab' ich denn getan? ... Ich weiß doch, daß mich das Trinken verwirrt macht ... Da drinnen, da unten das Geld! Spring nach, Weldein, du Dummkopf, du Trunkenbold, du Schuft!«
    Und er hielt sich am Geländer fest, während er schrie und raste ... »Verstecken! ich hab' es verstecken müssen ... Im Strom ... Auf dem Grund? ... Nein! Ich kann es nicht hineingeworfen haben! So närrisch ist der ärgste Narr nicht! ... Aber wo ist es? ... Wo? Wo? Wo? ...«
    Der Regen ließ nach ... am Himmel zeigten sich dunkelblaue Streifen, und einige Sterne blickten nieder. In tiefem Schlummer lag die nächtliche Stadt; ab und zu ein Ton aus der Ferne, der kaum zu deuten war; einmal ein verklingender Gesang von heimkehrenden Zechern ... dann wieder alles ruhig; und unter ihm, von ihm weg, den verhüllten Bergen zuströmend, die gleichmäßig rauschenden Wogen ... Lange, sehr lange lehnte er noch da; die Augen waren ihm wieder trocken; er selbst war ruhig geworden ... Und wieder ein Hauch von Leben ... Von der anderen Seite der Brücke kam es ... Karren, von feisten Gäulen gezogen; zuerst einer, dann zwei oder drei zu gleicher Zeit; die Bauern kamen vom Land zu Markte ... Eine nahe Turmuhr schlug ... eins ... zwei ... Und wieder tiefer, großer Frieden. Weldein verließ die Brücke, und das Rauschen verklang allmählich hinter ihm ... Als er es gar nicht mehr hören konnte, wollte er wieder dahin zurück ... Aber er schüttelte den Kopf und ging seines Weges weiter ... gedankenlos vorwärts ... Er sah auf die Pflastersteine zu seinen Füßen ... er begann seine Schritte zu zählen ... Er zählte immer weiter, kam bis hundert – dreihundert – sechshundert. Dann hörte er auf. Es kam wieder über ihn; er mußte wieder daran denken ... »Und kann man denn so weiterleben?« fragte er sich. »Und was ist's jetzt mit mir? Bin ich reich? Bin ich arm? Werde ich es finden? Muß ich's nicht einmal finden? Natürlich, ich muß ja ... Es wird die Stunde kommen, wo ich's wieder weiß. Wenn ich im Bett liege ... oder morgen ... in einigen Tagen ... wenn ich wieder ruhig bin ...« Und vorwärts ... der heimischen Vorstadt zu. Ein grauer Morgenschimmer im Ost ... Bald erwacht alles wieder zum neuen Tage, zur neuen Arbeit. »Und ich?« dachte Weldein. »Auch ich wieder zur Arbeit –? Ich, der Millionär? ... Wieder auf die Leiter steigen und

Weitere Kostenlose Bücher