Erzaehlungen
meinem Rücken – oder ihr würdet gar sagen: »Thameyer ist wahnsinnig.« Nun ist euch das genommen, meine Verehrten, ich sterbe für meine Überzeugung, für die Wahrheit und vor allem für die Ehre meiner Frau; denn wenn ich tot bin, werdet ihr meine Frau nicht verhöhnen und werdet über mich nicht lachen; ihr werdet einsehen, daß es solche Dinge gibt, wie sie Hamberg, Heliodor, Malebranche, Welsenburg, Preuß, Limböck und andere berichten. – Auch du, liebe Mutter – wahrhaftig, du mußtest mir nicht die Hand drücken, als wäre ich zu bedauern! Du wirst jetzt doch meine Frau um Verzeihung bitten – ich weiß es ... Nun, scheint mir, habe ich nichts mehr zu sagen. Es schlägt eins. Gute Nacht, meine Lieben. Nun geh' ich noch einmal ins Nebenzimmer und küsse mein Kind und meine Frau zum letzten Mal – dann geh' ich fort. – Lebt wohl.
Arthur Schnitzler
Wohltaten Still und Rein gegeben
Er ging, so schnell er konnte; zuweilen lief er geradezu. Aber es war ganz vergeblich – ihn fror immer heftiger. Seit Anbruch der Dunkelheit schneite es überdies, und die Straßen leuchteten im Laternenschein. Was sollte er beginnen? Er konnte sich nicht einmal mehr in eine Branntweinbudike wagen; die letzten paar Heller hatte er nachmittags für einen Kaffee ausgegeben. Er war hungrig geworden, nachdem er den ganzen Tag treppauf treppab gelaufen war. Vor acht Tagen, als die ersten trügerischen Frühjahrsdüfte wehten, hatte er seinen dicken Rock verkauft, und nun, zu allem anderen Elend, schien ein neuer Winter einbrechen zu wollen.
Die Straße öffnete sich. Franz befand sich einem großen Gebäude gegenüber, vor dem Bogenlampen brannten und dessen riesige Fenster in hellem Licht erstrahlten. Wagen näherten sich in geschlossener dichter Reihe langsam dem Tor, von verschiedenen Seiten kamen Fußgänger mit heraufgeschlagenen Kragen und verschwanden in der Halle. Franz wußte, daß er vor dem Sophiensaal stand. Drüben lief ein großer Bursche hin und her, der die Wagentüren öffnete und von den Aussteigenden Trinkgeld erhielt.
In Franz regte sich der Neid. Wenn er sich doch auch zu dergleichen entschließen könnte. Aber das war ja schon Bettelei. Und er war Student ... inskribiert an der Universität. Mit Erbitterung erinnerte er sich, wie er vor ein paar Monaten, der Verzweiflung nahe so wie heute, beim Studentenverein um Unterstützung eingekommen war, wie er dann mit dreißig oder vierzig anderen in einem großen Vorraum hatte warten müssen, wie ihm ein Herr mit einer Brille an einem grünen Tisch ein paar Gulden eingehändigt und, als er danken wollte, mit einem »schon gut, vorwärts – der Nächste« förmlich die Tür gewiesen hatte.
Ein junger Mann und eine Dame gingen an ihm vorüber; sie aßen gebratene Kastanien und lachten, als ob sie das sehr komisch fänden, daß sie naschen durften, während andere hungerten. Der Geruch stieg Franz verlockend in die Nase. Am liebsten hätte er ihnen die warmen duftenden Dinger einfach aus der Hand gerissen und verschlungen, und er spürte, daß ihm zu einer solchen Handlung eigentlich nichts fehlte als der Mut. Er biß die Zähne zusammen vor Wut, wenn er daran dachte, was für einen feigen Hungerleider die Not aus dem frischen Knaben von einst gemacht hatte. Wäre er doch daheim geblieben. Ein tüchtiges Handwerk oder irgendeine Arbeit auf freiem Feld, das wäre seine Sache gewesen, da wär' er heute stark und gesund wie früher, als er sich in Wäldern und auf Bergen herumtreiben oder stundenlang auf den Wiesen liegen und in den Himmel starren durfte. Daheim hätt' er schon irgendwie ehrlich sein Brot verdient, ohne sich demütigen zu müssen wie hier. Was war aus ihm geworden!
Durch die stille kalte Luft drangen die Klänge der Tanzmusik scheinbar stärker als früher zu ihm. In diesem Augenblick merkte er, daß ihn jemand betrachtete, wie er zähneklappernd, die Hände in den Hosentaschen, an der Laterne lehnte. Ein junger Mann im Pelz, mit einem kleinen Schnurrbart, war es, der gemächlich durch den Schnee gestapft kam und plötzlich vor ihm stehen blieb. Er schlug den Pelz zurück, griff mit einer weißbehandschuhten Hand in die Tasche und zog seine Börse hervor. Gegen seinen Willen, ja mit einem dumpfen Staunen über sich selbst, hielt Franz die Augen auf den Herrn fast flehentlich gerichtet und die Rechte wie zum Empfang ausgestreckt. Der Herr suchte in seiner Börse, offenbar ohne zu finden, was er wollte. Dann schüttelte er leicht den Kopf,
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