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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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ganz erhitzt über die Wiese zu ihm gelaufen kam; im Mondenschein hatte es ausgesehen, als flöge sie über das Gras. Es war an dem Abend gewesen, bevor er in die Stadt mußte, und seither hatte er keine mehr in den Armen gehalten. Eine plötzliche Sehnsucht nach dem blonden Geschöpf mit den heißen feuchten Wangen, an das er so lange nicht mehr gedacht hatte, ergriff ihn, und er bekam förmlich Lust, sich morgen früh aufzumachen und zu Fuß nach Hause zu wandern über die verschneiten Straßen und Hügel.
    Ein blasses Mädchen stand plötzlich vor ihm, ganz still, mit einem Körbchen voll Blumen, und hielt ihm, ohne ihn recht anzusehen, ein kleines Bukett von roten Nelken und Reseda entgegen. In seiner Verlegenheit griff er wie mechanisch nach dem Sträußchen und legte es vor sich hin. Während er nach einem Zwanzighellerstück suchte, nahm das Mädchen die Blumen vom Tische auf und steckte sie ihm ins Knopfloch, immer schweigsam, ohne die Miene zu verziehen, als dächte sie an etwas ganz anderes. Franz hatte endlich das Geldstück aus dem Sack hervorgeholt – es war zwar eine Krone, aber er schämte sich weiterzusuchen und gab der Kleinen die Münze. Sie lächelte ein wenig, und Franz sah, daß sie viel älter sein mußte, als er anfangs vermutet hatte. »Küss' die Hand, gnädiger Herr«, sagte sie, indem sie sich entfernte. Der Klang dieser Worte durchbebte ihn ... Und wie er jetzt wieder seine Blicke zu den anderen Tischen sandte, kam es ihm vor, als sähe man ihn überall mit einer gewissen ruhigen und selbstverständlichen Hochschätzung an. Unwillkürlich nahm er eine leichtere Haltung an, winkte dem Kellner, verlangte Zigaretten und zündete sich eine an. Dann ging er.
    Es schneite noch immer, und die Straßen, durch die er jetzt spazierte, waren menschenleer. Die Kälte empfand er nicht mehr, aber der Boden schwankte ein wenig unter den Füßen.
    Ein verlockender Gedanke fuhr ihm durch den Sinn. Er schauerte zusammen ... und blieb einen Augenblick lang stehen. Dann stapfte er mit den Füßen durch den Schnee weiter und empfand ein gewisses Vergnügen daran, den Schritt des Herrn im Pelz nachzuahmen ...
    In einer ganz engen Gasse kamen ihm zwei Frauenzimmer entgegen; die eine hielt einen Muff vors Gesicht. Als sie Franz gerade gegenüberstand, ließ sie den Arm heruntergleiten und zeigte ein lachendes Gesicht. Franz starrte sie an. Die andere Frauensperson ging weiter, als gäbe sie von vornherein jede Hoffnung auf. Die mit dem Muff faßte nach dem Sträußchen und drängte sich an Franz. Er war sehr verlegen. »Ich habe keine Zeit«, sagte er. – »Was hast' denn so spät bei der Nacht andres zu tun? Komm nur; das ist schon mein Haustor.« Und resolut zog sie an der Glocke. Sie trällerte einen Gassenhauer und schaute Franz lachend an. Er rührte sich nicht ... Das Tor wurde geöffnet und schloß sich gleich darauf wieder hinter den beiden.
    Das Zimmer, in das er mit ihr trat, war klein und niedrig, auf dem Fensterbrett stand eine Petroleumlampe, die matt brannte und nach der das ganze Zimmer roch. Wieder dachte Franz an jene letzte Sommernacht daheim, an den kühlen Duft der Wiesen und Wälder, der ihn damals umströmt hatte, und wäre am liebsten davongelaufen. Aber er blieb.
    Später schlummerte er an ihrer Seite ein.
    Im Traum ging er eine große Treppe in ein schönes Haus hinauf, wo er in den ersten Wochen seines Wiener Aufenthalts Lektion gegeben hatte. Da standen Männer oben, die sich nicht um ihn kümmerten. Plötzlich ertönte hinter ihnen eine Stimme, schrill wie ein Befehl – da wandten sich die beiden zu ihm und trieben ihn mit Fußtritten die Treppe hinunter. Aber unten, auf einer samtgepolsterten Bank, saß der Herr vom Sophiensaal, hielt das Blumenmädchen auf dem Schoß, und sie aßen beide Kastanien und erkannten Franz nicht, was ihn wütend machte. Er schrie sie an – sie hörten ihn nicht. Und alle, die vorbeigingen, hunderte, tausende Menschen, lachten nun über ihn. Er wollte um sich schlagen, aber er konnte sich nicht rühren.
    Er erwachte jäh und stand auf. Das Frauenzimmer erhob sich im Bett, hatte offenbar schon tief geschlafen und war sehr ärgerlich. Sie kleidete sich notdürftig an und schlürfte in zerrissenen Pantoffeln herum. Franz mußte ihr beinah den ganzen Rest seines Geldes geben und eilte davon.
    Als das Haustor hinter ihm zudröhnte, schlug es eben drei Uhr von einem nahen Kirchturm. Franz nahm den Weg schnurgerade zum Sophiensaal. Den Herrn im Pelz mußte er

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