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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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hölzerne Puppe. Noch wollte Engelbert die Sache nicht verloren geben: es konnte sich vielleicht um ein besonders raffiniertes Verbrechen handeln, indem der Mörder das tote Kind als Puppe und sich als Bauchredner ausgab. Aber als Engelbert sich auf ein Knie niederließ und einem hölzernen Kind in die gläsernen Augen starrte, stieg die Heiterkeit aufs höchste. Noch winkte die Möglichkeit, den Bauchredner wegen öffentlichen Mutwillens aufs Kommissariat zu bringen, aber in diesem Augenblick waren zwei Kavallerieoffiziere herbeigetreten und ließen sich wohlgelaunt mit dem Artisten in eine Unterhaltung ein. – Engelbert erkannte in dem einen der Offiziere mit Schrecken einen Erzherzog, fühlte, daß hier nichts mehr für ihn zu holen war, und schlich davon.
    Von diesem Tage an zweifelte Engelbert Friedmaier nicht mehr, daß ihn ein tückisches Verhängnis verfolge. Nicht ohne Neid sah er auf manche seiner Kameraden, die strenger waren als die Verordnungen und empfindlicher als die Gesetze, und dumpfe Verlockung erwachte in ihm, diesen Ernsthaftstrebenden nachzueifern. Immer stärker empfand er die beispiellose Ordnung und Sittlichkeit rings um sich, wie einen gegen ihn persönlich gerichteten Hohn, und die ganze Menschheit seines Bezirkes erschien ihm als eine Bande von Verschworenen, die mit ihrer Anständigkeit nichts anderes bezweckten, als ihn zugrunde zu richten.
    So stand er auch heute auf seinem Posten mit dem gramvollen Bewußtsein seiner Überflüssigkeit und Lächerlichkeit. – Der Abend nahte, verspätete Spaziergänger nahmen den Weg zum Prater, aus dem verworren der Sonntagslärm zu ihm herüberdrang. Engelbert schritt auf und ab, auf und ab. Manchmal blieb er stehen, sah die Straßen entlang, ließ seine Blicke zum Nordwestbahnhof ... zum Praterstern schweifen – und dann ging er wieder auf und ab, auf und ab. Mit einem Male gewahrte er eine bekannte Gestalt, die von der Taborstraße aus immer näher schritt. Es war Katharina, in einem blauen, weißgetupften Foulardkleid mit einem kleinen weißen Strohhut und einem roten Sonnenschirm; immer näher kam sie heran, und Engelbert sah sie lächeln. Sie wußte, daß er hier auf Posten stand ... wollte sie ihn besuchen? Er wagte es kaum zu hoffen, denn sie war in der letzten Zeit gar nicht liebenswürdig, machte sich sogar häufig über ihn lustig. Sie kam auf ihn zu. Jetzt merkte er auch, daß etwa zehn Schritte hinter ihr ein junger Mann in einem lichtgrauen Anzug, eine Zigarette im Mund und einen Spazierstock zwischen den Fingern drehend, einherspaziert kam, was übrigens auch ein Zufall sein konnte.
    Engelbert, der eben mitten auf der Straße stand, näherte sich dem Trottoir, Katharina blieb vor ihm stehen und sagte, immer mit dem gleichen Lächeln: »Herr Sicherheitswachmann, ich bitt' recht schön, wo ist denn da der Prater?«
    »Kathi«, rief er aus, »Kathi, kommst du wirklich zu mir?«
    »Aber was fallt Ihnen denn ein, Herr Sicherheitswachmann ... das war' doch nicht erlaubt! Sie sind ja jetzt im Dienst! Ich komm' nur fragen, wo man da am schnellsten in' Prater kommt.«
    Der junge Herr mit dem grauen Anzug und dem Spazierstock war auf dem gegenüberliegenden Trottoir stehen geblieben. Es war auch möglich, daß er auf eine Tramway wartete.
    »Kathi«, sagte Engelbert, »schau, es ist ja so lieb von dir ...«
    »Was ist denn lieb von mir? Ich hätt' auch ein' andern fragen können, aber weil ich zufällig da vorübergeh' und weil ich sonst vor den Wachleuten so viel Respekt hab' und weil Sie gar so freundlich ausseh'n ... Ja wirklich, Ihnen sieht man doch gleich an, daß Sie noch keinem was 'tan hab'n.«
    Um Engelberts Mundwinkel zitterte es leicht. Was wollte sie von ihm? War sie nur hergekommen, um ihn wieder zu quälen? – Eben fuhr eine Pferdebahn vorbei, der graue junge Herr stieg nicht ein. Aber er hatte vielleicht in der anderen Richtung zu tun.
    »Warum reden Sie denn nicht, Herr Kommissär?« fragte Katharina weiter. »Sind Sie nicht laut Instruktion verpflichtet, den Parteien auf ihre Anfragen in höflicher Form Auskunft zu erteilen?«
    »Kathi, ich bitt' dich, frozzel' mich nicht! Schau, ich halt's nimmer aus!«
    »Ja«, sagte Katharina, indem sie sich auf die Fußspitzen stellte und gleich wieder fallen ließ, »so muß ich halt einen andern fragen. Ich hab' die Ehre, Herr ...« – »Kathi!«
    »Was is denn? Schau'n S' mich doch nicht so bös an, sonst krieg' ich wirklich eine Angst.«
    Eine Trambahn fuhr vorbei – in der

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