Erzaehlungen
harrten, grüßte sie mit einem berückenden Lächeln. Blumen, die ihr gespendet worden, verteilte sie unter die geduldige Schar, und einmal, als die Blumen in der Garderobe zurückgeblieben waren, sagte sie in dem erquickenden Wienerisch, das ihr so gut zu Gesicht stand: »Meiner Seel', jetzt hab' ich den Salat oben in meinem Kammerl vergessen! Kommt's halt morgen Nachmittag zu mir, Kinder, wer noch was haben will.« Dann stieg sie in den Wagen, aus dem Fenster steckte sie den Kopf hervor, und im Davonfahren rief sie: »Kriegt's auch ein' Kaffee!« Zu den wenigen, die den Mut gefunden hatten, dieser Einladung nachzukommen, hatte Fanny Ringeiser gehört. Kläre ließ sich mit ihr in eine scherzhafte Unterhaltung ein, erkundigte sich leutselig wie eine Erzherzogin nach ihren Familienverhältnissen und fand an dem Geplauder des frischen und begeisterten Mädchens soviel Gefallen, daß sie es aufforderte, bald wiederzukommen. Fanny folgte der Einladung, und bald gelang es ihr, im Hause der Künstlerin eine geachtete Stellung einzunehmen, die sie besonders dadurch zu erhalten wußte, daß sie bei allem Vertrauen, das ihr Kläre entgegenbrachte, sich ihr gegenüber nie eine wirkliche Vertraulichkeit erlaubte. Im Laufe der Jahre hatte Fanny eine ganze Reihe von Heiratsanträgen erhalten, meist aus den Kreisen der jungen Mariahilfer Fabrikantensöhne, mit denen sie auf Bällen zu tanzen pflegte. Aber sie wies alle zurück, da sie sich mit unwiderruflicher Regelmäßigkeit in den jeweiligen Liebhaber Klärens verliebte.
Den Fürsten Bedenbruck hatte Kläre durch mehr als drei Jahre ebenso treu, aber mit tieferer Leidenschaft geliebt als seine Vorgänger, und Leisenbohg, der trotz seiner zahlreichen Enttäuschungen die Hoffnung niemals aufgegeben, hatte ernstlich zu furchten begonnen, daß ihm das seit zehn Jahren ersehnte Glück niemals blühen würde. Immer, wenn er einen in ihrer Gunst wanken sah, hatte er seiner Liebsten den Abschied gegeben, um für alle Fälle und in jedem Augenblick bereit zu sein. So hielt er es auch nach dem plötzlichen Tode des Fürsten Richard; aber zum ersten Male mehr aus Gewohnheit als aus Überzeugung. Denn der. Schmerz Klärens schien so grenzenlos, daß jeder glauben mußte, sie hätte nun für alle Zeit mit den Freuden des Lebens abgeschlossen. Jeden Tag fuhr sie auf den Friedhof hinaus und legte Blumen auf das Grab des Dahingeschiedenen. Sie ließ ihre hellen Kleider auf den Boden schaffen und versperrte ihren Schmuck in der unzugänglichsten Lade ihres Schreibtisches. Es bedurfte ernstlichen Zuredens, um sie von der Idee abzubringen, die Bühne für immer zu verlassen.
Nach dem ersten Wiederauftreten, das so glänzend verlaufen war, nahm ihr Leben wenigstens äußerlich den gewohnten Gang. Der frühere Kreis entfernterer Freunde sammelte sich wieder. Der Musikkritiker Bernhard Feuerstein erschien, je nach dem Menü des vergangenen Mittags mit Spinat- oder Paradeisflecken auf dem Jackett und schimpfte zu Klärens unverhohlenem Vergnügen über Kolleginnen, Kollegen und Direktor. Von den beiden Vettern des Fürsten Richard, den Bedenbrucks aus der anderen Linie, Lucius und Christian, ließ sie sich wie früher in der unverbindlichsten und hochachtungsvollsten Weise den Hof machen; ein Herr von der französischen Botschaft und ein junger tschechischer Klaviervirtuose wurden bei ihr eingeführt, und am zehnten Juni fuhr sie zum ersten Male wieder zum Rennen. Aber, wie sich Fürst Lucius ausdrückte, der nicht ohne poetische Begabung war: Nur ihre Seele war erwacht, ihr Herz blieb nach wie vor in Schlummer versunken. Ja, wenn einer von ihren jüngeren oder älteren Freunden die leiseste Andeutung wagte, als gäbe es irgend etwas wie Zärtlichkeit oder Leidenschaft auf der Welt, so schwand jedes Lächeln von ihrem Antlitz, ihre Augen blickten düster vor sich hin, und zuweilen erhob sie die Hand zu einer seltsam abwehrenden Bewegung, die hinsichtlich aller Menschen und auf ewige Zeiten zu gelten schien.
Da begab es sich in der zweiten Hälfte des Juni, daß ein Sänger aus dem Norden namens Sigurd Ölse in der Oper den Tristan sang. Seine Stimme war hell und kräftig, wenn auch nicht durchaus edel, seine Gestalt beinahe übermenschlich groß, doch mit einer Neigung zur Fülle, sein Antlitz entbehrte im Zustand der Ruhe wohl manchmal des besonderen Ausdrucks; aber sobald er sang, leuchteten seine stahlgrauen Augen wie von einer geheimnisvollen innern Glut, und durch Stimme und Blick schien er
Weitere Kostenlose Bücher