Erzaehlungen
Vor allem faßte Sigurd, wie alle früheren Liebhaber Klärens, während des Soupers eine auffallende Sympathie zu ihm, lud ihn auf seine Besitzung am Fjord zu Molde und trug ihm endlich das Du an. Ferner zitterte Fanny Ringeiser am ganzen Leibe, wenn Sigurd das Wort an sie richtete, wurde abwechselnd blaß und rot, wenn er sie mit seinen großen stahlgrauen Augen ansah, und als er von seiner bevorstehenden Abreise sprach, fing sie laut zu weinen an. Aber Kläre blieb auch jetzt ruhig und ernst. Sie erwiderte die sengenden Blicke Sigurds kaum, sie sprach zu ihm nicht lebhafter als zu den anderen, und als er ihr endlich die Hand küßte und dann zu ihr aufsah mit Augen, die zu bitten, zu versprechen, zu verzweifeln schienen, blieben die ihren verschleiert und ihre Züge regungslos. All das beobachtete Leisenbohg nur mit Mißtrauen und Angst. Aber als das Fest zu Ende ging und sich alle empfahlen, erlebte der Freiherr etwas Unerwartetes. Er als letzter reichte Klären die Hand zum Abschied, wie die anderen, und wollte sich entfernen. Sie aber hielt seine Hand fest und flüsterte ihm zu: »Kommen Sie wieder.« Er glaubte nicht recht gehört zu haben. Doch noch einmal drückte sie seine Hand und, die Lippen ganz nah an seinem Ohr, wiederholte sie: »Kommen Sie wieder, in einer Stunde erwarte ich Sie.«
Taumelnd beinahe ging er mit den anderen fort. Mit Fanny begleitete er Sigurd zum Hotel, und wie aus weiter Ferne hörte er ihm zu von Kläre schwärmen. Dann führte er Fanny Ringeiser durch die stillen Straßen in der linden Nachtkühle nach Mariahilf, und wie hinter einem Nebel sah er über ihre roten Kinderwangen dumme Tränen rinnen. Dann setzte er sich in einen Wagen und fuhr vor Klärens Haus. Er sah Licht durch die Vorhänge ihres Schlafzimmers schimmern; er sah ihren Schatten vorübergleiten, ihr Kopf erschien in der Spalte neben dem Vorhang und nickte ihm zu. Er hatte nicht geträumt, sie wartete seiner.
Am nächsten Morgen machte Freiherr von Leisenbohg einen Spazierritt in den Prater. Er fühlte sich glücklich und jung. In der späten Erfüllung seiner Sehnsucht schien ihm ein tieferer Sinn zu liegen. Was er heute Nacht erlebt hatte, war die wunderbarste Überraschung gewesen – und doch wieder nichts als Steigerung und notwendiger Abschluß seiner bisherigen Beziehungen zu Kläre. Er fühlte jetzt, daß es nicht anders hatte kommen können, und machte Plane für die nächste und fernere Zukunft. »Wie lange wird sie noch bei der Bühne bleiben?« dachte er ... »Vielleicht vier, fünf Jahre. Dann, aber auch nicht früher, werde ich mich mit ihr vermählen. Wir werden zusammen auf dem Lande wohnen, ganz nah von Wien; vielleicht in St. Veit oder in Lainz. Dort werde ich ein kleines Haus kaufen oder nach ihrem Geschmacke bauen lassen. Wir werden ziemlich zurückgezogen leben, aber oft große Reisen unternehmen ... nach Spanien, Ägypten, Indien ...« – So träumte er vor sich hin, während er sein Pferd über die Wiesen am Heustadl rascher laufen ließ. Dann trabte er wieder in die Hauptallee und beim Praterstern setzte er sich in seinen Wagen. Er ließ bei der Fossatti halten und sandte an Kläre ein Bukett von herrlichen dunklen Rosen. Er frühstückte in seiner Wohnung am Schwarzenbergplatz allein wie gewöhnlich, und nach Tisch legte er sich auf den Diwan. Er war von heftiger Sehnsucht nach Kläre erfüllt. Was hatten alle die anderen Frauen für ihn zu bedeuten gehabt? ... Sie waren ihm Zerstreuung gewesen – nichts weiter. Und er ahnte den Tag voraus, da ihm auch Kläre sagen würde: Was waren mir alle anderen? – Du bist der einzige und erste, den ich je geliebt habe ... Und während er auf dem Diwan lag, mit geschlossenen Augen, ließ er die ganze Reihe an sich vorüber gleiten ... Gewiß; sie hatte keinen geliebt vor ihm, und ihn vielleicht immer und in jedem! ...
Der Freiherr kleidete sich an, und dann ging er langsam, wie um sich ein paar Sekunden länger auf das erste Wiedersehen freuen zu dürfen, den wohlbekannten Weg ihrem Hause zu. Es gab wohl viel Spaziergänger auf dem Ring, aber man konnte doch merken, daß die Saison zu Ende ging. Und Leisenbohg freute sich, daß der Sommer da war, daß er mit Kläre zusammen reisen, mit ihr das Meer oder die Berge sehen würde, und er mußte sich zusammennehmen, um nicht vor Entzücken laut aufzujubeln.
Er stand vor ihrem Hause und sah zu ihren Fenstern auf. Das Licht der Nachmittagssonne strahlte von ihnen wider und blendete ihn beinahe. Er
Weitere Kostenlose Bücher