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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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alle, besonders die Frauen, wie in einem Taumel zu sich hinzureißen.
    Kläre saß mit ihren nicht beschäftigten Kollegen und Kolleginnen in der Theaterloge. Sie als einzige schien ungerührt zu bleiben. Am nächsten Vormittage wurde ihr Sigurd Ölse in der Direktionskanzlei vorgestellt. Sie sagte ihm einige freundliche, aber beinah kühle Worte über die gestrige Leistung. Am selben Nachmittag machte er ihr einen Besuch, ohne daß sie ihn dazu aufgefordert hätte. Baron Leisenbohg und Fanny Ringeiser waren anwesend. Sigurd trank mit ihnen Tee. Er sprach von seinen Eltern, die in einem kleinen norwegischen Städtchen als Fischerleute lebten; von der wunderbaren Entdeckung seines Gesangstalentes durch einen reisenden Engländer, der auf weißer Jacht in dem entlegenen Fjord gelandet war; von seiner Frau, einer Italienerin, die während der Hochzeitsreise auf dem atlantischen Ozean gestorben und ins Meer gesenkt worden war. Nachdem er sich verabschiedet hatte, blieben die anderen lange in Schweigen versunken. Fanny sah angelegentlich in ihre leere Teetasse, Kläre hatte sich zum Klavier gesetzt und stützte die Arme auf den geschlossenen Deckel, der Freiherr versenkte sich stumm und angstvoll in die Frage, warum Kläre während der Erzählung von Sigurds Hochzeitsreise jene seltsame Handbewegung unterlassen, mit der sie seit dem Tode des Fürsten alle Andeutungen von der weiteren Existenz leidenschaftlicher oder zärtlicher Beziehungen auf Erden abgewehrt hatte.
    Als fernere Gastspielrollen sang Sigurd Ölse den Siegfried und den Lohengrin. Jedesmal saß Kläre ungerührt in der Loge. Aber der Sänger, der sonst mit niemandem verkehrte als mit dem norwegischen Gesandten, fand sich jeden Nachmittag bei Kläre ein, selten ohne Fräulein Fanny Ringeiser, niemals ohne den Freiherrn von Leisenbohg dort anzutreffen.
    Am siebenundzwanzigsten Juni trat er als Tristan zum letzten Male auf. Ungerührt saß Kläre in der Theaterloge. Am Morgen darauf fuhr sie mit Fanny auf den Friedhof und legte einen riesigen Kranz auf das Grab des Fürsten nieder. Am Abend dieses Tages gab sie ein Fest zu Ehren des Sängers, der tags darauf Wien verlassen sollte.
    Der Freundeskreis war vollzählig versammelt. Keinem blieb die Leidenschaft verborgen, von der Sigurd für Kläre erfaßt war. Wie gewöhnlich sprach er ziemlich viel und erregt. Unter anderem erzählte er, daß ihn während der Herreise auf dem Schiff von einer an einen russischen Großfürsten verheirateten Araberin aus den Linien seiner Hand für die nächste Zeit die verhängnisvollste Epoche seines Lebens prophezeit worden war. Er glaubte fest an diese Prophezeiung, wie überhaupt der Aberglaube bei ihm mehr zu sein schien als eine Art, sich interessant zu machen. Er sprach auch von der übrigens allgemein bekannten Tatsache, daß er im vorigen Jahren gleich nach der Landung in New-York, wo er ein Gastspiel absolvieren sollte, noch am selben Tag, ja in derselben Stunde trotz des hohen Pönales ein Schiff bestiegen, das ihn nach Europa zurückbrachte, nur weil ihm auf der Landungsbrücke eine schwarze Katze zwischen die Beine gelaufen war. Er hatte freilich allen Grund, an solche geheimnisvolle Beziehungen zwischen unbegreiflichen Zeichen und Menschenschicksalen zu glauben. Eines Abends im Coventgarden-Theater zu London, da er vor dem Auftreten versäumt hatte, eine gewisse, von seiner Großmutter überkommene Beschwörungsformel zu murmeln, hatte ihm plötzlich die Stimme versagt. Eines Nachts im Traum war ihm ein geflügelter Genius in Rosatrikots erschienen, der ihm den Tod seines Lieblingsraseurs verkündet hatte, und tatsächlich fand man den Bedauernswerten am Morgen darauf erhängt auf. Überdies trug er stets einen kurzen, aber inhaltsreichen Brief bei sich, der ihm in einer spiritistischen Sitzung in Brüssel von dem Geist der verstorbenen Sängerin Cornelia Lujan überreicht worden war und der in fließendem Portugiesisch die Weissagung enthielt, daß er bestimmt sei, der größte Sänger der alten und neuen Welt zu werden. Alle diese Dinge erzählte er heute; und als der spiritistische, auf Rosapapier der Firma Glienwood geschriebene Brief von Hand zu Hand ging, war die Bewegung in der Gesellschaft tief und allgemein. Kläre selbst aber verzog kaum eine Miene und nickte nur manchmal gleichgültig mit dem Kopf. Trotzdem erreichte die Unruhe Leisenbohgs einen hohen Grad. Für sein geschärftes Auge sprachen sich die Anzeichen der drohenden Gefahr immer deutlicher aus.

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