Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
Vom Netzwerk:
Er bat Leisenbohg, ihm von ihr zu erzählen, so viel er nur konnte, denn er wußte ja, daß in dem Freiherrn ihr ältester und treuester Freund vor ihm stand. Und Leisenbohg setzte sich auf den Koffer und sprach von Kläre. Es tat ihm wohl, von ihr reden zu können. – Er erzählte dem Sänger beinah alles – mit Ausnahme derjenigen Dinge, die er ihm als Kavalier verschweigen zu müssen glaubte. Sigurd lauschte und schien verzückt.
    Beim Souper lud der Sänger seinen Freund ein, noch heute Abend Wien mit ihm zu verlassen und ihn auf seine Besitzung nach Molde zu begleiten. Der Freiherr fühlte sich wunderbar beruhigt. Er lehnte für heute ab und versprach Ölse, ihn im Laufe des Sommers zu besuchen.
    Sie fuhren zusammen zur Bahn. »Du wirst mich vielleicht für einen Narren halten,« sagte Sigurd, »aber ich will noch einmal an ihren Fenstern vorbei.« Leisenbohg sah ihn von der Seite an. War dies vielleicht ein Versuch, ihn hinters Licht zu führen? oder war es der letzte Beweis für die Unverdächtigkeit des Sängers? ... Vor Klärens Haus angelangt, warf Sigurd einen Kuß nach den verschlossenen Fenstern. Dann sagte er: »Grüße sie noch einmal von mir.«
    Leisenbohg nickte: »Ich will es ihr bestellen, wenn sie wiederkommt.«
    Sigurd sah ihn betroffen an.
    »Sie ist nämlich schon fort,« setzte Leisenbohg hinzu. »Heute früh ist sie abgereist – ohne Abschied ... ... wie es so ihre Art ist,« log er dazu.
    »Abgereist«, wiederholte Sigurd und versank in Sinnen. Dann schwiegen sie beide.
    Vor Abfahrt des Zuges umarmten sie sich wie alte Freunde.
    Der Freiherr weinte nachts in seinem Bett, wie es ihm seit seinen Kinderjahren nicht mehr geschehen war. Die eine Stunde der Lust, die er mit Kläre verlebt hatte, schien ihm wie von dunkeln Schauern umweht. Es war ihm, als hätten ihre Augen in der gestrigen Nacht wie im Wahnsinn geglüht. Nun begriff er alles. Zu früh war er ihrem Ruf gefolgt. Noch hatte der Schatten des Fürsten Bedenbruck Gewalt über sie, und Leisenbohg fühlte, daß er Kläre nur besessen hatte, um sie auf immer zu verlieren.
    Ein paar Tage trieb er sich in Wien herum, ohne zu wissen, was er mit den Tagen und Nächten anfangen sollte; alles, womit er früher seine Zeit hingebracht hatte – Zeitunglesen, Whistspielen, Spazierenreiten – war ihm vollkommen gleichgültig. Er fühlte, wie sein ganzes Dasein nur von Kläre den Sinn erhalten, ja daß selbst seine Verhältnisse zu anderen Frauen nur von dem Abglanze seiner Leidenschaft für Kläre gelebt hatten. Über der Stadt lag es wie ein ewiger grauer Dunst; die Leute, mit denen er sprach, hatten verschleierte Stimmen und starrten ihn merkwürdig, ja verräterisch an. Eines Abends fuhr er zum Bahnhof, und wie mechanisch nahm er sich eine Karte nach Ischl. Dort traf er Bekannte, die sich harmlos nach Kläre erkundigten, er antwortete gereizt und unhöflich und mußte sich mit einem Herrn schlagen, für den er sich nicht im geringsten interessierte. Er trat ohne Erregung an, hörte die Kugel an seinem Ohr vorbeipfeifen, schoß in die Luft und verließ Ischl eine halbe Stunde nach dem Duell. Er reiste nach Tirol, nach dem Engadin, nach dem Berner Oberland, nach dem Genfersee, ruderte, überschritt Pässe, bestieg Berge, schlief einmal in einer Sennhütte und wußte im übrigen an jedem Tag vom vorigen so wenig wie vom nächsten.
    Eines Tages erhielt er von Wien aus ein Telegramm nachgesandt. Mit fiebernden Fingern öffnete er es. Er las: »Wenn du mein Freund bist, so halte dein Wort und eile zu mir; denn ich benötige eines Freundes. Sigurd Ölse.« Leisenbohg zweifelte keinen Augenblick, daß der Inhalt dieses Telegramms in irgend einem Zusammenhang mit Kläre stehen müsse. Er packte so rasch als möglich ein und verließ Aix, wo er sich eben befand, mit der nächsten Gelegenheit. Ohne Unterbrechung reiste er über München nach Hamburg und nahm das Schiff, das ihn über Stavanger nach Molde führte, wo er an einem hellen Sommerabend ankam. Die Reise war ihm endlos erscheinen. Von allen Reizen der Landschaft war seine Seele unberührt geblieben. Auch war es ihm in der letzten Zeit nicht mehr gelungen, sich an Klärens Gesang oder auch nur an ihre Züge zu erinnern. Jahrelang, jahrzehntelang glaubte er von Wien fort zu sein. Aber als er Sigurd in weißem Flanellanzug mit weißer Kappe am Ufer stehen sah, war ihm, als hätte er ihn gestern Abend zum letzten Male gesehen. Und so zerwühlt er war, er erwiderte lächelnd vom Deck aus den

Weitere Kostenlose Bücher