Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
Vom Netzwerk:
nach meiner Verheiratung, als ich schon den Dienst verlassen hatte. Aber als ich im vorigen Jahre aus irgend einem lächerlichen Grund – wegen eines nicht ganz höflichen Grußes – von einem Herrn zur Rede gestellt wurde, habe ich es vorgezogen« – Herr von Umprecht errötete leicht – »mich zu entschuldigen. Die Sache wurde natürlich in ganz korrekter Weise erledigt, aber ich weiß ja doch ganz bestimmt, daß ich mich auch damals geschlagen hätte, wäre nicht plötzlich eine wahnwitzige Angst über mich gekommen, daß mein Gegner mir eine Wunde an der Stirne beibringen und dem Schicksal damit einen neuen Trumpf in die Hand spielen könnte ... Aber Sie sehen, es half mir nichts: die Narbe ist da. Und der Augenblick, in dem ich hier verwundet wurde, war vielleicht derjenige innerhalb der ganzen zehn Jahre, der mich am tiefsten zum Bewußtsein meiner Wehrlosigkeit brachte. Es war heuer im Winter gegen Abend; ich fuhr mit zwei oder drei anderen Personen, die mir vollkommen unbekannt waren, in der Eisenbahn zwischen Klagenfurt und Villach. Plötzlich klirren die Fensterscheiben, und ich fühle einen Schmerz an der Stirn; zugleich höre ich, daß etwas Hartes zu Boden fällt; ich greife zuerst nach der schmerzenden Stelle – sie blutet; dann bücke ich mich rasch und hebe einen spitzen Stein vom Fußboden auf. Die Leute im Kupee sind aufgefahren. ›Ist was geschehen?‹ ruft einer. Man merkt, daß ich blute, und bemüht sich um mich. Ein Herr aber – ich seh' es ganz deutlich – ist in die Ecke wie zurückgesunken. In der nächsten Haltestelle bringt man Wasser, der Bahnarzt legt mir einen notdürftigen Verband an, aber ich fürchte natürlich nicht, daß ich an der Wunde sterben könnte: ich weiß ja, daß es eine Narbe werden muß. Ein Gespräch im Waggon hat sich entsponnen, man fragt sich, ob ein Attentat beabsichtigt war, ob es sich um einen gemeinen Bubenstreich handle; der Herr in der Ecke schweigt und starrt vor sich hin. In Villach steige ich aus. Plötzlich ist der Mann an meiner Seite und sagt: ›Es galt mir.‹ Eh' ich antworten, ja nur mich besinnen kann, ist er verschwunden; ich habe nie erfahren können, wer es war. Ein Verfolgungswahnsinniger vielleicht ... vielleicht auch einer, der sich mit Recht verfolgt glaubte von einem beleidigten Gatten oder Bruder, und den ich möglicherweise gerettet habe, da eben mir die Narbe bestimmt war ... wer kann es wissen? ... Nach ein paar Wochen leuchtete sie auf meiner Stirn an derselben Stelle, wo ich sie in jenem Traume gesehen hatte. Und mir ward es immer klarer, daß ich mit irgend einer unbekannten höhnischen Macht in einem ungleichen Kampf begriffen war, und ich sah dem Tag, wo das Letzte in Erfüllung gehen sollte, mit wachsender Unruhe entgegen.
    Im Frühling erhielten wir die Einladung meines Onkels. Ich war fest entschlossen, ihr nicht zu folgen, denn ohne daß mir ein deutliches Bild in Erinnerung gekommen wäre, schien es mir doch möglich, daß gerade auf seinem Gut hier die verruchte Stelle zu finden wäre. Meine Frau hätte aber eine Ablehnung nicht verstanden, und so entschloß ich mich doch, mit ihr und den Kindern schon Anfang Juli herzureisen, in der bestimmten Absicht, so bald als möglich das Schloß wieder zu verlassen und weiter in den Süden, nach Venedig oder an den Lido, zu gehen. An einem der ersten Tage unseres Aufenthaltes kam das Gespräch auf Ihr Stück, mein Onkel sprach von den kleinen Kinderrollen, die darin enthalten wären, und bat mich, meine Kleinen mitspielen zu lassen. Ich hatte nichts dagegen. Es war damals bestimmt, daß der Held von einem Berufsschauspieler dargestellt werden sollte. Nach einigen Tagen packte mich die Angst, daß ich gefährlich erkranken und nicht würde abreisen können. So erklärte ich denn eines Abends, daß ich am nächsten Tage das Schloß auf einige Zeit zu verlassen und Seebäder zu nehmen gedächte. Ich mußte versprechen, Anfang September wieder zurück zu sein. Am selben Abend kam ein Brief des Schauspielers, der aus irgend welchen gleichgültigen Gründen dem Freiherrn seine Rolle zurückstellte. Mein Onkel war sehr ärgerlich. Er bat mich, das Stück zu lesen – vielleicht könnte ich ihm unter unseren Bekannten einen nennen, der geeignet wäre, die Rolle darzustellen. So nahm ich denn das Stück auf mein Zimmer mit und las es. Nun versuchen Sie sich vorzustellen, was in mir vorging, als ich zu dem Schlüsse kam und hier Wort für Wort die Situation aufgezeichnet fand, die mir

Weitere Kostenlose Bücher