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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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einer Lebensperiode, die neuen Gewöhnungen im allgemeinen abhold zu sein pflegt, um Angelegenheiten des Haushaltes und der Wirtschaft zu kümmern, was ihm bisher durch Friederikens Fürsorge erspart geblieben war; und in den letzten Tagen der Schiffsreise, unbeschadet aller Trauer, zog ein kühles, aber irgendwie tröstliches Gefühl der Entfremdung gegenüber der Dahingeschiedenen in sein Herz, die ihn ohne Abschied und völlig unvorbereitet auf Erden allein gelassen hatte.

Zweites Kapitel

    Nach einem kurzen Aufenthalt in Berlin, wo er sich bei einer Anzahl klinischer Professoren für die beginnende Kurzeit in Erinnerung brachte, traf Doktor Gräsler an einem schönen Maitag in dem kleinen, hügelwaldumgebenen Badestädtchen ein, wo er seit nun sechs Jahren im Sommer die ärztliche Praxis auszuüben pflegte. Er wurde von der Hauswirtin, einer ältlichen Kaufmannswitwe, mit herzlicher Teilnahme begrüßt und freute sich der bescheidenen Feldblumen, mit denen sie die Wohnung zu seinem Empfang geschmückt hatte. Das kleine Zimmer, das im vorigen Jahre seine Schwester bewohnt hatte, betrat er nicht ohne Scheu, doch fand er sich nicht so tief ergriffen, als er eigentlich gefürchtet hatte. Im übrigen ließ das Leben sich gleich im Anfang ganz leidlich an. Der Himmel war von gleichmäßig milder Klarheit, die Luft frühlingshaft lau; und manchmal, zum Beispiel beim Frühstück auf seinem kleinen Balkon, wo auf reinlich gedecktem Tisch die weiße blaugeblümte Kanne, aus der er sich nun freilich den Kaffee selbst in die Tasse eingießen mußte, in der Morgensonne glänzte, kam ein Gefühl von Behaglichkeit über ihn, wie es ihm in Gesellschaft seiner Schwester, zum mindesten in den letzten Jahren, nicht mehr geworden war. Die anderen Mahlzeiten nahm er in dem stattlichen Hauptgasthof des Ortes in Gesellschaft einiger ihm von früher her bekannter, achtungswerter Bürger, mit denen sich's zwanglos und manchmal recht unterhaltsam plaudern ließ. Die Praxis aber setzte gleich recht vielversprechend ein, ohne daß Fälle von besonderer Schwere sein ärztliches Verantwortungsgefühl allzusehr belastet hätten.
    So ging der Frühsommer ohne bemerkenswerte Ereignisse dahin, als an einem Juliabend, nach einem ziemlich arbeitsreichen Tage, Doktor Gräsler durch einen Boten, der sich eiligst wieder entfernte, in das Forsthaus gerufen wurde, das eine gute Wagenstunde von dem Städtchen entfernt lag. Der Doktor war hiervon wenig erfreut, wie er überhaupt für ortsansässige Kranke, deren Behandlung weder viel Ruhm, noch viel Gewinn zu bringen pflegte, keinerlei Vorliebe hegte. Doch als er, eine gute Zigarre rauchend, in der milden Abendluft die liebliche Straße zwischen hübschen Landhäusern, dann zwischen gelben Feldern im kühlen Hügelschatten und endlich durch den hohen Buchenwald talaufwärts fuhr, ward ihm behaglicher zumute; und als er gar des Forsthauses ansichtig wurde, dessen anmutvolle Lage ihm von Spaziergängen vergangener Jahre her in guter Erinnerung stand, bedauerte er beinahe, daß die Fahrt so schnell vorüber war. Er ließ den Wagen am Straßenrand halten und ging den schmalen Wiesenweg zwischen jungen Tannen dem Hause zu, das mit blinkenden Fenstern, ein ungeheures Geweih über der schmalen Eingangstür, die Abendsonne auf dem rötlichen Dach, ihm freundlich entgegengrüßte. Über die Holzstufen der im Verhältnis zum Hause auffallend geräumigen Seitenterrasse kam dem Doktor eine junge Dame entgegen, die ihm gleich auf den ersten Blick bekannt erschien. Sie reichte ihm die Hand und berichtete, daß ihre Mutter an Magenbeschwerden erkrankt sei. »Nun schläft sie schon seit einer Stunde ganz ruhig«, erzählte sie weiter. »Das Fieber ist offenbar zurückgegangen. Um vier Uhr nachmittags war, es noch achtunddreißig vier Zehntel. Und da sie sich schon seit gestern Abend elend fühlt, habe ich mir erlaubt, Sie herzubitten, Herr Doktor. Es wird hoffentlich nichts sein.« Dabei sah sie ihm bescheiden bittend ins Auge, als hinge die weitere Entwicklung des Falles von seiner Entscheidung ab.
    Er erwiderte ihren Blick mit angemessenem, aber mildem Ernst. Freilich kannte er sie. Schon manchmal war er ihr im Städtchen begegnet, doch hatte er sie für einen Sommergast gehalten. »Nun, wenn Ihre Frau Mama jetzt ruhig schläft«, sagte er, »wird es wohl nichts Schlimmes sein. Vielleicht sagen Sie mir noch etwas Näheres, Fräulein, ehe wir die Kranke am Ende ganz überflüssigerweise aufwecken.« Sie lud ihn ein,

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