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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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weiterzuspazieren, ging ihm voraus auf die Veranda und bot ihm einen Stuhl an, während sie an dem Pfosten der offenen, ins Innere des Hauses führenden Tür stehenblieb. In strenger Sachlichkeit gab sie eine Darstellung des bisherigen Krankheitsverlaufes, der für Doktor Gräsler keinen Zweifel übrig ließ, daß es sich hier um nichts anderes handeln könne, als um eine vorübergehende Magenverstimmung. Immerhin war er genötigt, allerlei medizinische Fragen an die junge Dame zu richten, wurde durch die höchst unbefangene Art überrascht, mit der sie natürliche Vorgänge mit einer Unbedenklichkeit, wie er sie von Mädchenlippen nicht gewohnt war, mitteilte und erläuterte, und fragte sich flüchtig während des Zuhörens, ob sie sich wohl einem jüngeren Arzt gegenüber mit der gleichen Unbefangenheit ausgedrückt hätte. Sie selbst mochte seiner Schätzung nach kaum weniger als fünfundzwanzig Jahre zählen, wenn es nicht etwa die großen, ruhigen Augen waren, die ihrem Antlitz den Ausdruck höherer Reife verliehen. In den blonden, hochgesteckten Zöpfen trug sie einen unverzierten Silberkamm. Ihre Kleidung war einfach, aber durchaus ländlich, der weiße Gürtel durch eine zierlich vergoldete Schnalle geschlossen. Was dem Doktor am meisten auffiel, ja irgendwie verdächtig erschien, waren die höchst eleganten hellbraunen Halbschuhe aus Wildleder, die genau zur Farbe der Strümpfe gestimmt waren.
    Doch sie war noch nicht mit ihrem Bericht und Doktor Gräsler noch nicht mit seinen Betrachtungen zu Ende, als es aus dem Innern des Hauses »Sabine« rief. Der Doktor erhob sich, das junge Mädchen wies ihm den Weg durch das geräumige, schon halbdunkel gewordene Speisezimmer in das nächste, hellere, wo in einem der beiden Betten, eine weiße Haube auf dem Kopfe, in einer weißen Nachtjacke, die Kranke aufrecht saß, und dem Eintretenden mit etwas erstaunten, im übrigen aber ganz frischen, beinahe lustigen Augen entgegenschaute.
    »Herr Doktor Gräsler«, stellte Sabine vor und trat rasch an das Kopfende des Bettes, die Stirn der Mutter zärtlich mit der Hand berührend.
    Die Frau, die nicht alt, sehr wohlgenährt und freundlich aussah, schüttelte mißbilligend das Haupt. »Sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen, Herr Doktor,« sagte sie, »aber wozu, liebes Kind –«
    »Es scheint ja wirklich,« bemerkte der Doktor, indem er die dargebotene Hand der Patientin ergriff und zugleich den Puls fühlte, »daß ich hier ziemlich überflüssig bin, um so mehr, als ja Ihr Fräulein Tochter«, er lächelte fein, »über ganz verblüffende medizinische Kenntnisse zu verfügen scheint. Aber da ich nun schon einmal da bin, nicht wahr –« Und indes die Frau sich achselzuckend in ihr Schicksal zu ergeben schien, nahm er eine nähere Untersuchung vor, der Sabine mit ruhigen Augen aufmerksam folgte, worauf er tatsächlich, soweit es überhaupt notwendig war, sowohl die Patientin als deren Tochter vollkommen beruhigen konnte. Schwierigkeiten ergaben sich jedoch, als Doktor Gräsler die Kranke für die nächsten Tage auf strenge Diät setzen wollte. Dagegen verwahrte sich die Frau aufs heftigste. Sie behauptete, in früheren Jahren derartige Zufälle, die sie als nervös bezeichnete, gerade durch Genuß von Schweinefleisch mit Sauerkraut und einer gewissen Sorte von Bratwürstchen, die hier leider nicht zu beschaffen wären, aufs rascheste kuriert zu haben; und nur diesmal hatte sie sich von Sabine abhalten lassen, mittags eine reichlichere Mahlzeit zu sich zu nehmen, welche Entsagung höchstwahrscheinlich das Fieber zur Folge gehabt hätte. Der Doktor, der diese Bemerkungen anfangs für Scherz hielt, erkannte im weiteren Verlauf der Unterhaltung, daß die Frau, im Gegensatz zu ihrer Tochter, über die medizinische Wissenschaft durchaus laienhaft, ja ketzerisch dachte, wie sie sich denn auch nachher an spöttischen Bemerkungen über die Heilquelle des Badestädtchens nicht genug tun konnte. So behauptete sie, daß zu Versandzwecken die Flaschen mit gewöhnlichem Brunnenwasser gefüllt würden, in das man Salz, Pfeffer und wohl auch noch bedenklichere Gewürze hineintäte, so daß Doktor Gräsler, der sich stets an dem Rufe der Badeorte, in denen er gerade praktizierte, mitbeteiligt und für Erfolge und Mißerfolge mitverantwortlich fühlte, eine gewisse Verletztheit nicht völlig unterdrücken konnte. Doch widersprach er der Mutter nicht ernstlich, sondern begnügte sich, mit der Tochter einen verständnisvoll lächelnden

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