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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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St. Blasien, dem ersten Ort, wo er seine Badepraxis ausübte, verlobt hatte, die dann plötzlich mit ihren Eltern eines wichtigen Prozesses halber nach Frankreich zurückreisen mußte und ihm die Nachricht von ihrer Ankunft sowie jede andere bis zum heutigen Tage schuldig geblieben war. Auch des Fräuleins Lizzie dachte er, aus seiner Berliner Studentenzeit, das sich seinetwegen sogar ein wenig angeschossen, und erinnerte sich, wie sie ihm widerstrebend die rauchgeschwärzte Stelle unter der linken Brust gezeigt, und wie er doch keine Spur von Rührung, sondern nur etwas Ärger und Langeweile empfunden hatte. Er dachte auch der netten, häuslichen Henriette, die er durch viele Jahre, wenn er von seinen Schiffsreisen nach Hamburg heimkehrte, in ihrer kleinen, hochgelegenen Wohnung mit dem Blick über die Alster wiederfand, so heiter, so harmlos und so bereit, wie er sie verlassen – ohne daß er je erfahren oder sich nur ernstlich darum gekümmert, was sie in der Zwischenzeit getan und erlebt hatte. Noch mancherlei anderes ging ihm durch den Sinn, darunter einiges, was nicht sonderlich hübsch, und manches, was sogar in verschiedenem Sinne nicht unbedenklich gewesen war, und wovon er heute gar nicht begriff, daß er sich überhaupt darauf hatte einlassen können; im ganzen aber blieb es doch traurig, daß die Jugend dahin und damit wohl auch das Recht verwirkt war, vom Leben noch etwas Schönes zu erwarten. Der Wagen fuhr zwischen Feldern hin, die Hügel ragten dunkel und höher als bei Tag, aus den kleinen Villen schimmerten Lichter her, auf einem Balkon lehnten stumm, enger aneinander geschmiegt, als sie es sich wohl bei Tageslicht erlaubt hätten, ein Mann und eine Frau. Von einer Veranda her, wo eine kleine Gesellschaft beim Abendessen saß, klang lautes Sprechen und Lachen. Doktor Gräsler begann Appetit zu verspüren, freute sich dem Abendessen entgegen, das er im »Silbernen Löwen« einzunehmen pflegte, und trieb den gemächlichen Kutscher zu größerer Eile an. Am Stammtisch, wo er die Bekannten schon alle versammelt fand, trank er heute ein Glas Wein mehr als gewöhnlich, weil ihm, wie er von früher her wußte, in einer solchen ganz unmerklichen Benommenheit das Leben irgendwie süßer und leichter zu erscheinen pflegte. Er hatte anfangs die Absicht, von seinem heutigen Besuche im Försterhause zu erzählen; doch aus irgendeinem Grunde, der ihm nicht klar wurde, ließ er es sein. Der Wein versagte aber heute seine Wirkung. Doktor Gräsler erhob sich sogar melancholischer vom Tische, als er sich hingesetzt hatte und begab sich mit leichten Kopfschmerzen nach Hause.

Drittes Kapitel

    In den nächsten Tagen nahm Doktor Gräsler öfter als sonst Gelegenheit, die Hauptstraße des Städtchens zu durchstreifen, in der unbestimmten Erwartung, Sabinen zu begegnen. Einmal lief er sogar, wie von einer Ahnung ergriffen, während seiner Sprechstunde, als das Wartezimmer zufällig eben leer stand, die Treppe hinab und tat einen eiligen, doch vergeblichen Gang bis zur Trinkhalle und wieder zurück. Am Abend dieses selben Tages erwähnte er wie beiläufig am Stammtisch, daß man ihn neulich ins Forsthaus gerufen habe, und horchte angespannt und etwas kampfbereit, ob etwa über Fräulein Sabine ein leichtfertiges Wort fiele, wie es in aufgeräumter Herrengesellschaft auch ohne Berechtigung wohl gelegentlich auffliegen mag. Aber die Familie Schleheim schien, wie das matte Echo seiner Mitteilung dem Doktor verriet, außerhalb jeden Interesses zu stehen; und nur ganz beiläufig war von Berliner Verwandten des sogenannten Försters die Rede, bei denen die Tochter, die der Tischgesellschaft offenbar nicht einmal als sonderliche Schönheit galt, zuweilen die Wintermonate verleben sollte.
    An einem der nächsten Spätnachmittage entschloß sich Doktor Gräsler zu einem Spaziergang, der ihn allmählich in die Nähe des Forsthauses führte. Von der Straße aus sah er es stumm im Schatten des Waldes liegen, und auf der Veranda gewahrte er die Gestalt eines Mannes, dessen Gesichtszüge er nicht zu unterscheiden vermöchte. Einen Augenblick blieb er stehen und fühlte sich heftig gelockt, geradeswegs ins Haus zu treten und sich, als hätte eben der Zufall ihn hier vorbeigeführt, nach dem Befinden der Frau Schleheim zu erkundigen; aber er besann sich rasch, daß dies, als mit seiner ärztlichen Würde kaum vereinbar, falscher Auffassung begegnen könnte. Von diesem Spaziergang kam er müder und verdrossener nach Hause, als er es nach

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