Erzaehlungen
auch, daß Sie mir geradeso gut sind wie ich Ihnen. So was muß man ja wirklich nicht erst mit Worten sagen. Manchmal aber scheint mir, daß Sie an einem gewissen Mangel an Selbstvertrauen leiden. Ist es nicht so? Ich habe auch darüber nachgedacht, woher das kommen mag. Und ich glaube, es kommt daher, daß Sie noch nirgends Wurzel gefaßt und weil Sie sich doch eigentlich Ihr ganzes Leben noch gar nicht Zeit genommen haben, darauf zu warten, daß sich Ihnen jemand so recht von Herzen anschließt. Ja, das mag es wohl sein. Und vielleicht ist es noch etwas anderes, was Sie zögern macht. Es wird mir freilich etwas schwer, Ihnen das zu schreiben. Aber da ich nun einmal angefangen habe, kann ich doch wohl nicht mehr auf halbem Wege stehenbleiben. Also, Sie wissen, lieber Freund, daß ich einmal verlobt gewesen bin. Das sind nun vier Jahre her. Er war ein Arzt wie Sie. Mein Vater hat Ihnen wohl Andeutungen gemacht. Ich hab' ihn sehr liebgehabt, und es war ein großer Schmerz, als ich ihn verlor. Er war so jung. Achtundzwanzig Jahre. Ich habe damals gedacht, daß nun alles für immer vorüber sei, wie man das eben so denkt in solchen Tagen. – Übrigens muß ich der Wahrheit gemäß gestehen, daß das nicht meine erste Liebe war. Vorher war es ein Sänger, für den ich geschwärmt hatte. Das war zu der Zeit, da mein Vater in allerbester Absicht mich in eine Laufbahn hineintreiben wollte, zu der ich gar nicht geboren war. Und das ist eigentlich das Leidenschaftlichste gewesen, was ich erlebt habe. Erlebt, das kann man zwar nicht sagen. Aber doch – gefühlt. Und es hat recht dumm geendet. Der meinte eben ein Geschöpf von der Art vor sich zu haben, wie es ihm sonst in seinen Kreisen begegnet, und er benahm sich danach, und da war es aus. Aber das Sonderbare ist, daß ich heute noch an diesen Menschen viel öfter denke als an meinen Verlobten, der mir so teuer war. Sechs Monate lang sind wir verlobt gewesen. So; und nun kommt das, was ein bißchen schwer zu sagen ist. Wissen Sie nämlich, was ich mir denke, lieber Doktor Gräsler? Sie vermuten etwas, was nicht wahr ist; und das ist es, was Sie zögern macht. Es ist ja gewiß zugleich ein Beweis Ihrer Neigung für mich. Aber es ist doch auch – Sie werden mir schon verzeihen, wenn ich das sage – ein bißchen Pedanterie dabei oder Eitelkeit. Freilich, ich weiß wohl, eine recht verbreitete männliche Eitelkeit und Pedanterie. Aber ich will Ihnen eben sagen, daß Sie das weiter nicht bedrücken darf. Muß ich noch deutlicher werden? Also, mein lieber Freund, ich habe Ihnen keinerlei Geständnisse zu machen. Es war überhaupt, wenn ich so zurückdenke, eine merkwürdige Art von Beziehung. Ich glaube nicht, daß er mich in den sechs Monaten öfter als zehnmal geküßt hat.
Nein, was man einem guten Freund so in der Nacht alles schreibt, besonders wenn man sich denkt, daß man den Brief am Ende doch nicht absenden muß. Aber nicht wahr, der Brief hätte wohl gar keinen Sinn, wenn ich nicht alles schriebe, was mir eben durch den Kopf geht. – Und doch, wie teuer war er mir. Vielleicht eben darum, weil er so ernst, so düster war. Er gehörte zu den Ärzten, es gibt ja nur wenige von der Art, die all das Elend, das sie mit ansehen müssen, selbst durchleiden. So war ihm das Leben furchtbar schwer, woher hätte er den Mut nehmen sollen, glücklich zu sein? Nun, ich hätte es ihn schon gelehrt mit der Zeit. Das traute ich mir wohl zu. Aber es hat eben anders kommen sollen. Ich will Ihnen auch sein Bild zeigen. Ich bewahre es natürlich auf. Das von dem andern, von dem Sänger, das hab' ich nicht mehr. Ich hatte es nicht von ihm selbst bekommen, sondern in einer Kunsthandlung gekauft, noch ehe ich ihn persönlich kannte. Was ich Ihnen wohl noch alles erzählen werde! Es ist Mitternacht vorüber. Da sitz' ich noch immer an meinem Tisch und habe gar keine Lust, fertig zu werden. Übrigens höre ich den Vater immer unten auf und ab gehen. Der hat nun wieder so unruhige Nächte. Wir haben uns doch recht wenig um ihn gekümmert in der letzten Zeit. Wir beide, lieber Doktor. Nun, das soll wieder anders werden. Ja, und nun will ich gleich noch etwas hierhersetzen, weil es mir eben einfällt. Sie müssen es nehmen, wie es gesagt ist. Der Vater meint nämlich, wegen des Sanatoriums, falls Sie die notwendige Summe nicht so ohne weiteres flüssig machen könnten, er stehe Ihnen gerne zur Verfügung. Er wäre, glaub' ich, überhaupt bereit, sich finanziell an der Sache zu beteiligen. Und
Weitere Kostenlose Bücher