Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
Vom Netzwerk:
Unsinn noch einmal redest, noch
ein
mal, so verschwinde ich spurlos aus deiner Nähe. Dann siehst du mich überhaupt nicht mehr. Ich habe kein Recht, dein Schicksal an meines zu ketten, ich will diese Verantwortung auch gar nicht.«
    »Weißt du, mein lieber Felix«, begann der Doktor, »du wirst die Güte haben, lieber heute als morgen abzureisen. So kann's nicht weiter gehen. Ich werde euch heute abend auf die Bahn bringen, und die kräftige Luft und die Ruhe werden euch beide hoffentlich wieder vernünftig machen.«
    »Ich bin ja ganz einverstanden,« sagte Felix, »mir ist das sehr gleich gültig, wo –«
    »Schon gut«, unterbrach ihn Alfred; »es liegt vorläufig nicht der geringste Grund zur Verzweiflung vor, und du kannst die traurigen Nebenbemerkungen eigentlich ganz beiseite lassen.«
    Marie trocknete ihre Tränen und sah den Doktor dankbar an.
    »Großer Psycholog«, lächelte Felix. »Wenn ein Arzt mit einem grob ist, kommt man sich gleich so gesund vor.«
    »Ich bin vor allem dein Freund, Du weißt also –«
    »Abreisen – morgen – ins Gebirge!«
    »Ja, dabei bleibt's auch.«
    »Na, ich dank dir jedenfalls sehr«, sagte Felix, indem er seinem Freunde die Hand reichte. »Und nun wollen wir gehen. Da draußen räuspert schon einer. Komm, Miez!« –
    »Ich danke Ihnen, Herr Doktor«, sagte Marie, Abschied nehmend.
    »Da gibt es ja weiter nichts zu danken. Seien Sie nur vernünftig und geben Sie auf ihn acht. Also, auf Wiedersehen.«
    Auf der Stiege sagte Felix plötzlich: »Lieber Mensch, der Doktor, wie?«
    »O ja.«
    »Und jung und gesund und hat vielleicht noch vierzig Jahre vor sich – oder hundert.«
    Sie waren auf der Straße. Um sie herum lauter Menschen, die gingen und sprachen und lachten und lebten und an den Tod nicht dachten.
    Sie bezogen ein kleines Häuschen hart am See. Es stand abseits von dem Dorfe selbst als einer der letzten abgelösten Ausläufer der Häuserreihe, die sich längs des Wassers hinzog. Und hinter dem Hause stiegen die Wiesen hügelig hinan, weiter oben lagen Felder in Sommerblüte. Weit dahinter, nur selten sichtbar, der verwischte Zug ferner Gebirge. Und wenn sie aus ihrer Wohnung heraus auf die Terrasse traten, die auf vier braunen, feuchten Pfählen aus dem klaren Wassergrunde hervorragte, so lag ihnen gegenüber am anderen Ufer die lange Kette starrer Felsen, über deren Höhe der kalte Glanz des schweigenden Himmels ruhte.
    In den ersten Tagen ihres Hierseins war ein wunderbarer Friede über sie gekommen, den sie selber kaum begriffen. Es war, als hätte das allgemeine Los nur in ihrem gewohnten Aufenthalt Macht über sie gehabt; hier, in den neuen Verhältnissen, galt nichts mehr von dem, was in einer anderen Welt über sie verhängt worden. Auch hatten sie, seit sie einander kannten, noch nie so erquickende Einsamkeit gefunden. Es kam vor, daß sie sich manchmal ansahen, als wäre zwischen ihnen irgend eine kleine Geschichte vorgefallen, etwa ein Zank oder ein Mißverständnis, über das aber nicht mehr gesprochen werden durfte. Felix fühlte sich an den schönen Sommertagen so wohl, daß er sich bald nach seiner Ankunft wieder ans Arbeiten machen wollte. Marie gab es nicht zu. »Ganz gesund bist du noch nicht«, lächelte sie. Und auf dem kleinen Tischchen, wo Felix seine Bücher und Papiere aufgeschichtet hatte, tanzten die Sonnenstrahlen, und durchs Fenster herein kam vom See her eine weiche, schmeichelnde Luft, die von allem Unglück der Welt nichts wußte.
    Eines Abends ließen sie sich wie gewöhnlich von einem alten Bauern auf den See hinausrudern. Sie befanden sich da in einem breiten, guten Fahrzeug mit einem gepolsterten Sitz, auf dem sich Marie niederzulassen pflegte, während sich Felix ihr zu Füßen hinlegte, in einen warmen, grauen Plaid gehüllt, der zugleich Unterlage und Decke für ihn war. Den Kopf hatte er an ihren Knien ruhen. Auf der weiten, ruhigen Wasserfläche lagen leichte Nebel, und es schien, als stiege die Dämmerung langsam aus dem See empor, um sich allmählich gegen die Ufer hinzubreiten. Felix wagte es heute, eine Zigarre zu rauchen, und schaute vor sich hin über die Wellen, den Felsen zu, um deren Kuppen ein mattes Sonnengelb hinfloß.
    »Sag, Miez«, fing er zu reden an, »traust du dich, hinaufzuschauen?«
    »Wohin?«
    Er deutete mit dem Finger auf den Himmel. »Da gerade hinauf, ins Dunkelblaue. Ich kann's nämlich nicht. Es ist mir unheimlich.«
    Sie schaute hinauf und verweilte mit ihren Blicken ein paar Sekunden oben.

Weitere Kostenlose Bücher