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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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»Mir tut's eher wohl«, sagte sie.
    »So? Wenn der Himmel so klar ist wie heute, bring ich es schon gar nicht zusammen. Diese Ferne, diese schauerliche Ferne! Wenn die Wolken oben stehen, ist es mir nicht so unangenehm, die Wolken gehören doch noch zu uns; – da schaue ich in Verwandtes hinein.«
    »Morgen wird's wohl regnen«, fiel da der Ruderer ein, »die Berge sind heut zu nah!« Und er ließ die Ruder ruhen, so daß der Kahn ganz lautlos und immer langsamer über die Wellen hinglitt.
    Felix räusperte sich. »Merkwürdig; die Zigarre vertrag ich noch nicht recht.«
    »So wirf sie doch weg!«
    Felix drehte die glimmende Zigarre ein paarmal zwischen den Fingern hin und her, dann warf er sie ins Wasser, und ohne sich nach Marie umzuwenden, sagte er: »Wie, ganz gesund bin ich doch noch nicht?«
    »Geh«, erwiderte sie abwehrend, indem sie mit ihrer Hand leise über seine Haare strich.
    »Was werden wir nur machen«, fragte Felix, »wenn's zu regnen anfängt! Da wirst du mich doch arbeiten lassen müssen.«
    »Du darfst nicht.«
    Sie beugte sich zu ihm nieder und sah ihm in die Augen. Es fiel ihr auf, daß seine Wangen gerötet waren. »Deine bösen Gedanken will ich dir bald vertreiben! Aber wollen wir jetzt nicht nach Hause fahren? Es wird kühl.«
    »Kühl? Mir ist nicht kühl.«
    »Na ja, dir mit dem dicken Plaid.«
    »Oh«, rief er aus, »ich Egoist habe ganz dein Sommerkleid vergessen.« Er wandte sich zum Ruderer. »Nach Hause.« Nach ein paar hundert Ruderschlägen waren sie ihrer Wohnung nahe. Da bemerkte Marie, wie Felix mit der rechten Hand sein linkes Handgelenk umschloß. »Was hast du denn?«
    »Miez, ich bin wirklich noch nicht ganz gesund.«
    »Aber.«
    »Fieber hab ich. Hm, – zu dumm!«
    »Du irrst dich sicher«, sagte Marie ängstlich, »ich will gleich um den Doktor gehen.« – »Ja, natürlich, das könnt ich noch brauchen.«
    Sie hatten angelegt und stiegen ans Land. In den Zimmern war's beinahe dunkel. Aber die Wärme des Tages war noch darin. Während Marie zum Abendessen herrichtete, saß Felix ruhig im Lehnstuhl.
    »Du«, sagte er ganz plötzlich, »die ersten acht Tage sind um.«
    Sie kam vom Tische, wo sie die Gedecke aufgelegt hatte, rasch zu ihm hin und umschloß ihn mit beiden Armen. »Was hast du denn wieder?«
    Er machte sich los. »Na, laß das!« Er stand auf und setzte sich an den Tisch. Sie folgte ihm. Er trommelte mit den Fingern auf dem Tisch herum. »So wehrlos komme ich mir vor. Plötzlich überfallt es einen.«
    »Aber, Felix, Felix.« Sie rückte ihren Stuhl nahe an den seinen.
    Er schaute mit großen Augen im Zimmer hin und her. Dann schüttelte er den Kopf ärgerlich, als könnte er irgend etwas nicht fassen, und stieß wieder zwischen den Zähnen hervor: »Wehrlos! Wehrlos! Kein Mensch kann mir helfen. Die Sache an sich ist ja nicht so schrecklich, – aber daß man so wehrlos ist!« –
    »Felix, ich bitte dich, du regst dich auf. Es ist sicher nichts. Willst du, – nur zu deiner Beruhigung, daß ich um den Arzt gehe?«
    »Ich bitte dich, laß mich damit! Entschuldige, daß ich dich schon wieder mit meiner Krankheit unterhalte.«
    »Aber –«
    »Wird nicht mehr geschehen. Geh, schenk mir doch ein. Ja, ja, einschenken! ... Danke! – Nun, so rede doch irgend etwas.«
    »Ja, was?«
    »Was immer. Lies mir was vor, wenn dir nichts einfallt. Ach, pardon, nach dem Essen natürlich. Iß nur, ich esse auch.« Er griff zu. »Ich habe sogar Appetit, es schmeckt mir ganz gut.«
    »Na, also«, sagte Marie mit einem gezwungenen Lächeln.
    Und beide aßen und tranken.
    Die nächsten Tage brachten einen warmen Regen. Da saßen sie bald im Zimmer, bald auf ihrer Terrasse, bis der Abend kam. Sie lasen beide oder schauten zum Fenster hinaus, oder er sah ihr zu, wenn sie irgend eine Näharbeit vornahm. Zuweilen spielten sie Karten, auch die Anfangsgründe des Schachspiels brachte er ihr bei. Andere Male wieder legte er sich auf den Diwan hin; sie saß bei ihm und las ihm vor. Es waren stille Tage und Abende, und Felix fühlte sich eigentlich ganz wohl. Es freute ihn, daß das schlechte Wetter ihm nichts anhaben konnte. Auch das Fieber kam nicht wieder.
    Eines Nachmittags, als sich das erste Mal nach langem Regen der Himmel aufzuhellen schien, saßen sie wieder auf dem Balkon, und Felix sagte ganz unvermittelt, ohne an irgend ein früheres Gespräch anzuknüpfen: »Es gehen eigentlich lauter zum Tode Verurteilte auf der Erde herum.«
    Marie schaute von ihrer Arbeit auf.
    »Nun ja«,

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