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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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Mark fühlt, daß er noch für alle Genüsse reif und kräftig ist, wo er fühlt, daß ihn die Musik begeistert, daß ihm der Wein köstlich schmeckt und daß er dieses blühende Mädel am liebsten auf seinen Schoß nehmen und abküssen möchte? Nein, es ist noch etwas zu früh an der Zeit, sich die Laune verbittern zu lassen! Und wenn die Stunde kommt, in der es keine Begeisterung, kein Verlangen mehr für ihn gibt, – ein rasches Ende aus eigenem Willen, stolz und königlich! Er nahm Mariens Hand und behielt sie lange in der seinen. Er ließ den Hauch seines Mundes langsam über sie streichen.
    »Aber«, flüsterte Marie mit einem Ausdruck der Befriedigung.
    Er schaute sie lange an. Und schön war sie, – schön! »Komm«, sagte er dann.
    Sie erwiderte unbefangen: »Wollen wir uns nicht noch ein Lied anhören?«
    »O ja«, sagte er. »Wir werden unser Fenster aufmachen und uns das Lied vom Wind ins Zimmer tragen lassen.«
    »Bist du schon müde?« fragte sie leicht besorgt.
    Er strich ihr scherzend übers Haar und lachte. »Ja.«
    »So gehen wir.«
    Sie standen auf und verließen den Garten. Sie nahm seinen Arm, hing sich fest darein und lehnte ihre Wange an seine Schulter. Auf dem Heimwege begleitete die beiden, immer ferner und ferner klingend, der Chor, den die Sänger eben angestimmt hatten. Heiter, im Walzertempo, im Refrain übermütig, so daß man leichtere und freiere Schritte zu machen gedrängt war. Das Hotel war kaum ein paar Minuten weit entfernt. Wie sie über die Stiege hinaufgingen, war von der Musik nichts mehr zu hören. Kaum traten sie aber ins Zimmer, so schallte ihnen wieder der Refrain des Walzerliedes mit seiner ganzen Ausgelassenheit entgegen.
    Sie fanden das Fenster weit geöffnet, und die blaue Mondnacht floß in weichen Fluten herein. Gegenüber zeichnete sich der Mönchsberg mit dem Schloß in scharfen Umrissen ab. Es war nicht notwendig, ein Licht anzuzünden, über dem Boden lag ein breiter Streifen silbernen Mondglanzes, und nur die Ecken des Zimmers blieben im Dunkeln. In der einen, dem Fenster nahe, stand ein Lehnstuhl. Auf den warf sich Felix und zog Marie heftig an sich. Er küßte sie, und sie küßte ihn wieder. Im Park drüben hatte das Lied geendet, aber es war so lange Beifall geklatscht worden, bis sie das Ganze von vorne anfingen. Plötzlich erhob sich Marie und eilte zum Fenster. Felix ihr nach. »Was hast du denn?« fragte er.
    »Nein, nein!«
    Er stampfte mit dem Fuße auf den Boden. »Warum denn nein?«
    »Felix!« Sie faltete bittend die Hände.
    »Nein?« sagte er mit zusammengepreßten Zähnen. »Nein? Ich soll mich wohl lieber würdig auf den Tod vorbereiten?«
    »Aber, Felix!« Und schon war sie vor ihm niedergesunken und hatte seine Knie umschlungen.
    Er zog sie zu sich empor. »Du bist ja ein Kind«, flüsterte er. Und dann ihr ins Ohr: »Ich hab dich lieb, weißt du's? Und wir wollen glücklich sein, solange das bißchen Leben währt. Ich verzichte auf ein Jahr in Jammer und Angst, ich will nur mehr ein paar Wochen, ein paar Tage und Nächte. Aber ich will sie auch
leben,
ich will mir nichts versagen, nichts, und dann da hinunter, wenn du willst« – und er wies, während er sie mit dem einen Arm umschlungen hielt, mit dem anderen zum Fenster hinaus, an dem der Fluß vorbeiglitt. Die Sänger hatten ihr Lied geendet, und nun konnte man ihn leise rauschen hören.
    Marie erwiderte nichts. Sie hatte mit beiden Händen fest seinen Hals umfangen. Felix trank den Duft ihres Haares. Wie betete er sie an! ja, noch ein paar Tage des Glücks und dann –
    Ringsum war es still geworden, und Marie war an seiner Seite eingeschlummert. Längst war das Konzert zu Ende, und unter dem Fenster gingen noch die letzten Nachzügler des Festes laut redend und lachend vorbei. Und Felix dachte, wie sonderbar es sei, daß diese johlenden Menschen wohl dieselben waren, deren Gesang ihn so tief ergriffen hatte. Auch die letzten Stimmen verklangen endlich vollends, und nun hörte er nur mehr das klagende Rauschen des Flusses. – Ja, noch ein paar Tage und Nächte und dann – Doch sie lebte zu gerne. Würde sie es je wagen? Sie brauchte aber nichts zu wagen, nicht einmal irgend etwas zu wissen. In irgend einer Stunde wird sie in seinen Armen eingeschlafen sein wie jetzt – und nicht mehr erwachen. Und wenn er dessen ganz sicher sein wird, – ja,
dann
kann auch er davon. Aber er wird ihr nichts sagen, sie lebt zu gerne! Sie bekäme Angst vor ihm, und er muß am Ende allein –

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