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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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gingen sie die Treppe hinab; Robert leuchtete mit einem Wachskerzchen voran. Auf der Straße hing er sich in ihren Arm. »Oh, du mußt mich nicht nach Hause begleiten!« sagte sie. – »Freilich muß ich nicht. Aber wenn es mir Vergnügen macht.« – An der nächsten Ecke stand ein Wagen. »Wir werden fahren«, sagte er. Sie schüttelte den Kopf. »Verschwender«, erwiderte sie in dem gleichen müden Ton, wie ein paar Stunden vorher, als er eine Flasche besseren Weins bestellt hatte. Aber der Kutscher stand schon bereit, die junge Frau stieg ein; und nun fühlte Robert plötzlich gar keine Lust mehr, sie zu begleiten. Er blieb zögernd neben dem Trittbrett stehen, ihre Hand in der seinen, und fragte: »Wann sieht man sich wieder, mein Kind?« – »Ich hab' dir ja gesagt, wo ich wohne«, erwiderte sie, »und wenn du vielleicht wieder einmal mit mir Zusammensein willst, so schreib mir nur ein Wort. Ich bin immer frei.« – »Um so besser«, sagte er. Und langsam setzte er hinzu: »Ich danke dir recht sehr.« Dabei küßte er ihre Hand. Sie trug keine Handschuhe, ihre Finger waren kühl. Und als er aufblickte, las er in ihren Augen: Wir werden uns gewiß nie wiedersehen. Ich hab' dir ja kaum gefallen, das weiß ich; mein gestricktes Leibchen war nicht nach deinem Geschmack und mancherlei anderes, was ich eben nicht besser habe und das du anders gewohnt bist. Du wirst mir nicht schreiben, ich weiß es. Er las das alles so deutlich in ihrem Blick, daß er sich beinahe gedrängt fühlte, ihr zu widersprechen. Aber der Wagen fuhr schon davon. Noch einmal sah sie nach dem Geliebten der verflossenen Stunde zurück und nickte ein paarmal. Robert sah dem rollenden Wagen eine ganze Weile nach. Die habe ich doch ganz bestimmt nicht umgebracht, sagte er dann zu sich, und unwillkürlich sah er ringsum, ob irgendwer in der Nähe wäre, ein Zeuge für alle Fälle, der sie in den Wagen hatte steigen und davonfahren sehen. Dann lachte er und schüttelte die töricht-zudringlichen Gedanken von sich ab. Vielleicht schreibe ich ihr doch einmal, dachte er; und durch die nächtlichen Straßen nahm er langsam den Weg zurück nach seinem Gasthof.

VI

    Am nächsten, einem klaren Spätherbstmorgen, fuhr er auf den Semmering. Erst als er dort sein Zimmer bezogen hatte, von dem er über die Tannenwipfel die Aussicht zu dem mit neuem, klirrblankem Schnee bedeckten Felsenkamm der Rax hatte, verständigte er durch heitere Karten seinen Bruder, den Doktor Leinbach und, ohne recht zu wissen warum, auch den Doktor Kahnberg, daß er sich von der langen Ruhe der letzten Monate ein paar Tage hier zu erholen gesonnen sei. Stundenlang, immer allein, von herber Bergluft angeweht, wanderte er durch kühle Wälder, über besonnte Wiesen hin, mit Bewußtsein nur dem Genuß der Luft und des Lichtes hingegeben, und wehrte alles Grübeln so weit von sich ab, daß ihm auch die fortdauernde unerhebliche Schwäche seines linken Augenlids keinerlei Sorge mehr zu bereiten vermochte. Am zweiten Tag seines Aufenthalts erbat er von seinem Amtsvorstand, Sektionschef Baron Prantner, eine kurze Verlängerung seines Urlaubs, und die zustimmende, in liebenswürdigem Ton gehaltene Antwort trug weiter dazu bei, Roberts gute Laune zu erhöhen.
    Es war in der dritten Nacht, als ein starker Wind über die Berge ging und Robert, der keinen Schlaf fand, sich im Dunkel neuerdings die Einzelheiten seines Abschieds von Alberta ins Gedächtnis zurückzurufen suchte. Seine Unfähigkeit, sich über den Zusammenhang der Ereignisse klar zu werden, quälte ihn immer mehr. Er erinnerte sich gewisser Auftritte aus der früheren Zeit seines Verhältnisses mit Alberta, in denen eifersüchtiger Zorn ihm beinahe die Sinne umnebelt und er sich nur mit Aufbietung aller Kräfte vor einem tätlichen Angriff zurückgehalten hatte. Da nun diesmal das, was seinem furchtbar aufsteigenden Groll tatsächlich gefolgt sein mochte, völlig aus seiner Erinnerung geschwunden war, so gab es durchaus keinen Beweis, daß er das, wozu Absicht und Wunsch ihn mehr als einmal gedrängt, nicht endlich wirklich getan und die Geliebte ermordet hatte. Daß im Hotel dem Verschwinden Albertens keine Bedeutung beigelegt worden war, ließ sich ohne Schwierigkeit erklären. Er selbst hatte vielleicht erzählt, daß sie vor ihm abgereist war, den Ort angegeben, wohin man ihr das Gepäck nachschicken sollte, und mit der Raffiniertheit eines geborenen Verbrechers noch anderes dazu getan, um die Spuren seiner Tat bis zur

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