Erzaehlungen
von den Gespenstern dieser Nacht, was fände er mir zu erwidern? Vor allem wohl, daß er für seinen Teil von den meisten verstorbenen Menschen seiner Bekanntschaft sich zuweilen einbilde, sie umgebracht zu haben, – ferner, daß es am Ende keinen besonderen Unterschied bedeute, philosophisch betrachtet, ob man jemanden wirklich töte oder ihm nur den Tod wünsche; – endlich, daß wir eigentlich alle mehr oder weniger Mordgesellen seien; und daß er von seinem Standpunkt es mir auch gar nicht übelnähme, wenn ich sowohl Alberta als auch Brigitte wirklich umgebracht hätte. Kenne ich dich, Freund Leinbach? Aber du sollst keine Gelegenheit haben, deinen Witz an mir zu probieren. Es ist immerhin sicherer, von solchen Einbildungen auch seinen nächsten Freunden nichts zu verraten. Ich werde auch Otto nichts davon sagen. Nein, nein, so leicht soll es euch nicht gemacht werden.
Während die Lampe weiter brannte, kam allmählich der Schlaf über ihn. –
VII
Als er am nächsten Morgen in die kühle Herbstluft hinaustrat und den Himmel mit trüben, unruhigen Wolken bedeckt sah, senkte er mißmutig den Blick, ohne eine junge, weibliche Gestalt zu beachten, die in einer weißen Wolljacke auf der Bank am Hoteleingang saß. Doch als er von dort zwei Augen auf sich gerichtet fühlte, wandte er die seinen hin und erkannte Fräulein Rolf. »Ist es möglich«, rief er mit einem Ausdruck der Überraschung, ja der Freude, dessen Übertriebenheit er sofort empfand. – »Es ist sogar gewiß«, erwiderte Paula, ihm die Hand entgegenstreckend. »Gestern, denken Sie, sind wir in Wien angekommen und sofort wieder heraufbefördert worden, Mama und ich. Aber lassen Sie sich nicht stören. Sie wollten gewiß einen Spaziergang unternehmen?«
»Damit eilt es nicht. Wenn Sie erlauben, so leiste ich Ihnen Gesellschaft, bis Ihre Mutter herunterkommt.«
»Das dürfte Ihnen zu lang dauern«, sagte Paula. »Mir übrigens auch. Eben war ich im Begriff, mich allein auf den Weg zu machen.«
Robert bat um die Erlaubnis, sich anschließen zu dürfen. Paula hatte nichts dagegen, trat vom Tor weg gegen die Mitte der Straße, spitzte $e Lippen zu einem leisen, eigentümlichen Pfeifen, auf das hin an einem Fenster des ersten Stockwerks Frau Rolf im hellblauen Morgenkleid sichtbar wurde, und rief zu ihr hinauf: »Ich gehe ein Stück voraus, Mama, gegen die Kampalm zu, der Herr Sektionsrat begleitet mich.« Frau Rolf erwiderte freundlich Roberts stummen Gruß. »Wie hübsch, daß Sie auch da sind, Herr Sektionsrat! Aber bitte sich nicht aufhalten zu lassen, ich komme schon nach.«
Paula schlug sofort ein lebhaftes Tempo ein, und ohne Rücksicht auf die stattgehabte Unterbrechung fuhr sie fort: »Das pflegt der Papa nämlich immer zu tun, wenn er sehr intensiv und mit besonders schwierigen Dingen beschäftigt ist.« – »Was pflegt er dann zu tun?« fragte Robert. – »Er schickt uns fort. Er kann dann niemanden – ganz besonders niemanden von seiner Familie, in der Nähe vertragen.« – »Sonderbar«, sagte Robert. – »Warum sonderbar?« entgegnete Paula. »Ich begreife es sehr gut.« Und sie erwähnte eines berühmt gewordenen Prozesses, in dem ihr Vater vor drei Jahren plädiert und wider allgemeines Erwarten seinem Klienten, einem Millionenkridar, zu einem Freispruch verholfen hatte. Auch damals hatte er Frau und Tochter auf Reisen geschickt.
Robert wunderte sich stillschweigend. Er war der Meinung, daß eigentlich jede Arbeit viel leichter vonstatten gehen müßte, wenn man solch ein klaräugiges, kluges Wesen zur Seite hatte, wie Paula eines war.
Sie fragte nach Roberts Bruder und Schwägerin, die sie aus früherer Zeit flüchtig kannte. Nun habe sie seit lange fast jeden gesellschaftlichen Verkehr aufgegeben, da sie nicht die geringste Freude davon habe. Robert glaubte sich zu erinnern, daß die musikalischen Abende im Hause Rolf in verflossenen Jahren eines gewissen Rufs genossen und daß bei solchen Gelegenheiten Paula persönlich mitgewirkt habe. Er hatte an diesen Abenden niemals teilgenommen. Hingegen vermochte Paula sich zu entsinnen, daß sie den Herrn Sektionsrat vor Jahren – sie wußte nicht mehr, in welchem Kreise – auf dem Piano phantasieren gehört hatte. »Spielen Sie noch viel?« fragte sie. Er erwiderte unbestimmt. Und jenes Gerücht von ihrem Verlöbnis mit einem berühmten, seither verstorbenen Komponisten ging ihm durch den Sinn.
Sie saßen auf einer Bank, die, auf einem Felsenvorsprung gelegen, freieste Aussicht
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