Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
Vom Netzwerk:
zufällig der Affäre Rolf Erwähnung getan. Man sprach davon, daß gegen den flüchtigen Anwalt tatsächlich eine gerichtliche Anzeige nicht vorgelegen oder daß sie zurückgezogen worden war; die prächtige Wohnung sei freilich unter der Hand schon für die allernächste Zeit weitervermietet worden. Bei dieser Nachricht wurde Robert von einem unverhältnismäßigen Mitleid erfaßt, und er schien sich mit einem Male hart, ja geradezu verworfen, weil er sich um die beiden Damen, die gewiß ein Lebenszeichen von ihm zu erwarten berechtigt waren, überhaupt nicht mehr gekümmert hatte. Das Gefühl seiner Versäumnis verfolgte ihn in den Schlaf, und am nächsten Morgen fragte er telephonisch an, wann er sich persönlich nach dem Befinden der Damen erkundigen dürfe. Er erkannte die Stimme Paulas erst, als sie ihn mit völliger Unbefangenheit für den Abend desselben Tages um seinen Besuch bat.
    Der große Salon, in den er um die sechste Stunde eintrat, sah unwirtlich, beinahe traurig aus. Die Möbel waren mit grauem Leinen überzogen, der Lüster mit weißem Organtinstoff verhängt, wodurch Robert sich an jenen verflossenen Traum von der Sedanschlacht erinnert fühlte. Auf dem geschlossenen Flügel standen allerlei Kunstgegenstände aus Glas, Porzellan und Bronze, offenbar zum Verpacktwerden hergerichtet; aus den Wänden ragten Nägel hervor, und Bilder lehnten verkehrt an den Wänden. Paula trat ein, in hellem Kleid, klaräugig und heiter; und da Robert darauf gefaßt gewesen war, sie trübselig, in dunkler Gewandung und ernst wiederzufinden, erschien sie ihm ganz besonders strahlend, so daß Überraschung sich in seinen Mienen spiegelte. Sie reichte ihm so unbefangen die Hand, als hätte sich seit der letzten Begegnung nicht das geringste verändert. »Es sieht ja nicht besonders schön aus bei uns«, sagte sie einfach, »aber Sie wissen ja wahrscheinlich, daß wir übersiedeln.«
    »Bald?« fragte Robert. – »Vor Neujahr wird sich's kaum machen lassen. Aber einige Gegenstände, die wir nicht mehr brauchen können, möchten wir womöglich schön früher loswerden. Doch lassen wir das. Ich freue mich, daß Sie gekommen sind. Beinahe hätte ich Ihnen geschrieben. Aber es ist mir lieber so.« – »Wenn ich gewußt hätte, daß mein Besuch – –« Sie ließ ihn nicht zu Ende reden. »Es hat sich ja allerlei ereignet«, sagte sie, »seit wir uns zuletzt gesprochen haben; aber es scheint wirklich, daß gewisse Ereignisse von den Unbeteiligten schwerer genommen werden, als von den eigentlich Betroffenen. Das Peinlichste an Unglücksfallen ist im Grunde immer die Verlegenheit der andern.«
    Robert wollte eben etwas erwidern, als Frau Rolf eintrat, von jener Atmosphäre des Gleichmaßes umgeben, in die anscheinend weder äußere noch innere Stürme Unruhe zu bringen vermochten. Es habe ihr recht leid getan, bemerkte sie, daß sie dem Herrn Sektionsrat auf dem Semmering nicht mehr persönlich hatte adieu sagen können ... Und etwas zögernd fügte sie hinzu: »Aber Sie werden ja allerlei gehört und gelesen haben ...«
    Paula, leicht errötend, unterbrach sie: »In den Zeitungen hat eine Menge dummes und unwahres Zeug gestanden.« Robert wollte abwehren, Paula aber fuhr fort: »Richtig ist eigentlich nur, daß der Vater abgereist ist und wahrscheinlich nicht mehr in die Stadt zurückkommen wird. Aber eine zwingende Notwendigkeit dazu besteht keineswegs. Es wäre ihm eben nur peinlich, grade hier in anderen, gegen früher erheblich geänderten Verhältnissen weiter existieren zu müssen. Er gehört nun einmal zu den Menschen, die ein neues Leben nur in einer neuen Umgebung beginnen können. Bei mir ist das anders; – bei uns«, fügte sie mit einem liebevollen Blick auf die Mutter hinzu.
    »Ich danke für Ihr Vertrauen«, entgegnete Robert leise.
    »Und jetzt«, sagte Pauk im Ton endgültiger Erledigung, »genug von uns. Wie geht's denn Ihnen?« Sie erkundigte sich, wie er sich nach einer so langen Urlaubspause wieder in Gebundenheit und Beruf hineingefunden. Ihm war es willkommen, sich aussprechen zu dürfen, und er berichtete lebhaft von seiner neuen Arbeit, die sich mit Fragen des musikalischen Unterrichtswesens beschäftige. Unwillkürlich fiel hierbei sein Blick auf das geschlossene Piano, und als Paula bemerkte, es sei darauf schon lange nicht gespielt worden, schlug Robert, vorerst ohne sich niederzusetzen, ein paar Töne an; sie klangen etwas dumpf, und das Porzellan zitterte leise mit. Paula begann die

Weitere Kostenlose Bücher