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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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ich keinen rechten Respekt vor ihr. So imponieren mir auch die Wutanfälle nicht, bei denen die Vernichtungstendenz sich auf leblose oder gar möglichst wohlfeile Gegenstände beschränkt. Es mag vielleicht etwas ketzerisch klingen, aber für mich steckt in all den Verrücktheiten – um bei dem populären Ausdruck zu bleiben –, über die der Leidende immer noch eine gewisse Macht behält und die er aus praktischen Rücksichten sozusagen auf- und niederzuschreiben imstande ist, eine Neigung zur Verspieltheit, zur Unwahrheit, zur Komödianterei, kurz, ein unanständiges Bestreben, vom wirklichen Ernst des Lebens abzurücken und unbequeme Verantwortlichkeiten abzulehnen. Ein solches Bestreben hat ja natürlich, wenn du willst, auch etwas Krankhaftes, aber mit Wahnsinn hat es gewiß nicht das geringste zu tun.«
    Robert schwieg eine Weile betreten, denn irgendwie berührte sich das, was Otto aussprach, mit den Gedanken, die ihm selbst neulich gekommen waren. Dann fragte er: »Und bist du auch sicher, die Grenze immer bestimmen zu können?«
    »Gewiß bin ich das, sonst hätte ich meinen Beruf längst aufgegeben.«
    Also er erinnert sich, dachte Robert, er will mich in Sicherheit wiegen, indem er mir zu verstehen gibt, daß ich nicht wahnsinnig bin und daher nichts von ihm zu befürchten habe. Aber woher weiß er, daß ich nicht wahnsinnig bin? Ich habe ihn ja schon wieder angelogen. Von meinen neuesten Wahnideen habe ich ihm nichts gesagt. Aber er ahnt sie vielleicht. Ich darf nicht so lange stumm bleiben. Er sieht zwar durch das Wagenfenster auf die Straße hinaus, aber mein Schweigen fällt ihm auf. Er fühlt, daß ich ihm etwas verberge. So geht es nicht weiter. Ich muß ihm die Wahrheit sagen. Wenn nicht heute, so morgen. Es muß Klarheit werden zwischen mir arid ihm.
    »Im übrigen«, meinte Otto, indem er sich plötzlich wieder zu seinem Bruder wandte, »wir sind da etwas weit abgekommen. Hast du mir nicht noch irgendein Leid zu klagen?«
    »Wozu?« erwiderte Robert gleichfalls leichteren Tons, »da du mich ja doch für einen elenden Komödianten hältst, weil ich nicht sämtliche Hotelstubenmädchen der Schweiz wegen versuchten Giftmordes habe verhaften lassen.«
    Otto ging auf den Scherz nicht ein. »Weißt du, was ich glaube«, sagte er in dem ernsthaften, etwas strengen Ton, der ihm manchmal eigen war, »daß dir nach der langen Faulenzerei die regelmäßige Arbeit sehr heilsam sein wird. Und was dein zuckendes Augenlid anbelangt, so brauchst du dir nicht die geringsten Sorgen zu machen.«
    Erschrocken wandte Robert sich ihm zu. »Du hast es bemerkt?«
    Otto seufzte auf. »Was magst du dir alles schon wieder eingebildet haben ...«
    »Du sagst, daß mein Augenlid zuckt. Das – das wußt' ich eigentlich gar nicht. Ich hatte den Eindruck einer – einer beginnenden Lähmung.«
    »Keine Spur davon. Einbildung. Und durch deine wiederholten Versuche, die Bewegungsfähigkeit deines Lids zu prüfen, hast du dir jetzt dieses Zucken angewöhnt. Denk nicht mehr dran, so wird es von selber aufhören.«
    Der Wagen hielt vor dem Hotel. »Ah, wir sind schon da«, sagte Robert. »Willst du dir nicht einmal mein Zimmer ansehen, Otto? Es ist sehr hübsch.«
    »Nächstens einmal gern, heut hab' ich leider keine Zeit mehr. Morgen sieht man dich ja hoffentlich wieder. Und – ich bitte dich –, werd einmal vernünftig! Zeit wär's ja.« Und er schüttelte Robert zum Abschied herzlich die Hand.
    Robert war zumute, als wäre ihm eine schwere Last von der Seele genommen worden. Ottos Worte hatten ihn für den Augenblick nicht nur von der leisen, ohnedies fast schon geschwundenen Besorgnis bezüglich seines Augenlids völlig, sondern auch von allen anderen Angstgebilden wie durch Zauberkraft befreit.

X

    Eine Reihe von guten Tagen brach für Robert an. Er nahm seine Berufsarbeiten mit Eifer auf, pflegte einen angenehm zerstreuenden Verkehr mit den alten Bekannten und fand sich täglich für ein Stündchen im Hause des Bruders ein, wo er mit den Kindern scherzte und mit Marianne plauderte. Als diese einmal darüber klagte, daß Otto trotz seiner angestrengten Praxis sich auch in seiner wissenschaftlichen Tätigkeit keine Unterbrechung gönne, benützte Robert gerne die Gelegenheit, dem Bruder wegen einer solchen, auch nicht eben vernünftig zu nennenden Lebensweise freundschaftliche Ratschläge zu erteilen, die zwar geduldig angehört, aber nicht im geringsten befolgt wurden.
    Eines Abends im Kaffeehaus wurde in Roberts Gegenwart

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