Erzaehlungen
Gegenstände von dem Klavierdeckel wegzuräumen, und unter Roberts Beihilfe stellte sie Tassen, Teller, Uhr, Armleuchter und Vasen auf den Boden hin. Dann setzte sich Robert an den geöffneten Flügel und hub in seiner Art zu phantasieren an, bis er aus einer Tanzweise, in die er unversehens geraten war und die er dem Moment nicht recht angemessen fand, sich in eine melancholische, in Chopinsche Modulationen verklingende Melodie rettete. Die Frauen schwiegen, nachdem er geendet; er sah sie nicht, da sie hinter ihm in einer Ecke des Zimmers saßen, doch er fühlte, daß ihnen sein Spiel gefallen hatte. Paula erhob sich, trat zu ihm und fragte ihn, ob ihm selbst ein guter Flügel zu Gebote stände. »Ich habe einen vortrefflichen gehabt«, erwiderte er. »Aber im vorigen Frühjahr habe ich ihn, sowie manches andere, verkauft. Sobald ich wieder eine Wohnung nehme, schaffe ich mir einen neuen an. Vorläufig hause ich nämlich noch immer im Gasthof.« In den Augen Paulas schimmerte ein leises Lächeln auf, und er wußte, was es zu bedeuten hatte. In einem Blick, darin sie sich begegneten, wurde das Einverständnis zwischen ihr und ihm über allen Zweifel hinaus klar, und als er sich verabschiedete, sagte Paulas Händedruck noch deutlicher, als es ihre Worte ausgesprochen hatten: Kommen Sie bald wieder.
Wie ist es nur zu verstehen, fragte er sich auf der Straße, daß ich ihrer in den letzten Tagen mit solcher Gleichgültigkeit gedacht habe, ja, daß sie neulich wie in einer Verkleidung durch meine Gedanken schwebte und ich diesem Maskenbild gradezu feindselig gegenüberstand? Es war wie eine unbewußte Scheu, ja, eine Angst, mich ihr wieder zu nähern; denn tief in mir schlummert offenbar noch die Furcht, daß es ihr als meiner Geliebten, als meiner Frau ebenso ergehen könnte wie anderen, die ich geliebt habe. Wie andern?! – Und er riß sich gleich wieder zurück. Wie ist es ihnen denn ergangen? Ich habe ihnen ja nichts zuleide getan; – darüber besteht nicht der geringste Zweifel mehr. Und doch laufen meine Gedanken immer aufs neue nach dieser Richtung hin, ohne Sinn und Zweck, wie auf ein totes Geleise. Auf ein totes Geleise, wiederholte er. Ja, das ist es. Und das Vergleichswort, das er gefunden hatte, beruhigte ihn beinahe.
Im Kaffeehaus hatte ihn Kahnberg mit Ungeduld erwartet. Der Dichter, der ihn neuerdings zum Vertrauten seiner Liebesschmerzen erwählt hatte, zog ihn in eine stille Ecke und sprach von den Eifersuchtsqualen, die sein Herz durchtobten. Er stehe für nichts mehr ein, behauptete er, er wisse nicht, wie die Sache enden würde. »Heute nacht, während sie schlafend an meiner Seite lag«, bemerkte er in seiner indiskreten Art, die Robert verabscheute, »war ich so nahe daran, ein Ende zu machen – mit allem – mit ihr und mit mir –, daß ich kaum weiß, was mich schließlich davon abgehalten hat. Es sind Abgründe in uns, Herr Sektionsrat; glauben Sie mir, Abgründe.«
»Darin bin ich kein Fachmann«, erwiderte Robert abweisend, »und ich weiß nicht recht, warum Sie grade mir die Ehre erweisen, mich in diese Dinge einzuweihen.«
»Das ist sehr einfach, Herr Sektionsrat. Weil Sie, wie Ihnen auf der Stirne geschrieben steht, ein Mensch sind, der viel erlebt hat und daher manches zu verstehen imstande ist, was andere vielleicht mit Schaudern erfüllen würde.«
»Das ist ein Irrtum, Herr Kahnberg, ich verstehe nicht das geringste von Abgründen. In meiner Seele herrschen höchst geordnete Verhältnisse.«
»Daran zweifelte ich nicht«, erwiderte Kahnberg etwas verletzt.
»Ich habe auch nicht recht begriffen«, fuhr Robert immer gereizter fort, »wie ich zu der Ehre kam, auf der Reise Ihr Drama zu empfangen – mit einer übrigens allzu schmeichelhaften Widmung. Auf diese Weise werden Sie mich keineswegs zu Ihrem Komplizen machen. Verstehen Sie mich, Herr Kahnberg?«
»Ich höre mit wachsendem Erstaunen zu, Herr Sektionsrat.«
»Das merke ich. Aber Ihre Art, mir zuzuhören, verzeihen Sie, paßt mir nicht.«
»Ich bedauere in der Tat, Herr Sektionsrat –«
»Paßt mir nicht, Herr Kahnberg«, wiederholte er heftig und erhob sich. »Und wenn Sie das Fräulein umzubringen wünschen«, schloß er heiser, »so tun Sie es gefälligst auf eigene Rechnung und Gefahr. Womit ich die Ehre habe.« Er nahm Hut und Stock und entfernte sich. Kaum, daß er auf der Straße stand, sagte er sich, daß er das Gespräch in törichter, ja geradezu verdachterweckender Weise geführt habe, und er beschloß, im
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