Erzaehlungen
Laufe der nächsten Tage die Gesellschaft Kahnbergs, wie überhaupt des ganzen Kreises, lieber zu meiden. Denn bei näherer Überlegung schien es ihm durchaus nicht ausgeschlossen, daß Kahnberg nur dazu ausersehen war, ihm eine Falle zu stellen. Und wenn es auch für ihn selbst feststand, daß er keinen Mord begangen hatte, und glücklicherweise auch, daß er nicht irrsinnig war; – eine andere, höchst bedenkliche Möglichkeit war nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen: daß nämlich irgendein anderer, zum Beispiel der Vetter seiner verstorbenen Frau, Herr August Langer, der früher vom Kartentisch aus in höchst eigentümlicher Weise herübergeblickt hatte, ihn des Mords an Brigitte verdächtigte. Nicht minder denkbar war es, daß Alberta drüben in Amerika an irgendeiner Krankheit hinsiechte und daß ihr Geliebter oder Gatte sich einbildete, Robert hätte der Ungetreuen aus Rache ein schleichendes Gift eingegeben. Und was half es, selber gesund zu sein, wenn die Welt von Geistesgestörten wimmelte? Jetzt fehlte nur noch, daß das arme Geschöpf mit dem er vor ein paar Wochen einen trübseligen Liebesabend verbracht, an den Resten des mitgenommenen Mahls erkrankt oder gar gestorben wäre. Wie sollte er sich dann von dem Verdacht des Giftmordes reinigen, – insbesondere, wenn man zugleich von irgendeiner anderen Seite mit wahnwitzigen Anschuldigungen gegen ihn heranträte?
Ein Kollege aus dem Ministerium begrüßte ihn und hielt ihn durch gleichgültige Fragen in der abendlich belebten Straße eine Weile fest. Robert stand Rede und Antwort, machte sogar eine spaßhafte Bemerkung über den Baron Prantner, und als der andere wieder verschwunden war, blickte Robert, wie aus einem bösen Traum erwacht, rings um sich her. Menschen gingen an ihm vorüber, elektrische Lampen leuchteten rechts und links, aus der gleißenden Helle wuchsen die Häuser zum dunklen Nachthimmel auf. Das Gefühl einer ungeheuren Verlassenheit überkam Robert mit einemmal. Und plötzlich, erlösend, fiel ihm ein, daß Paula auf der Welt und daß er nicht mehr allein war. Rette mich, murmelte er vor sich hin, unwillkürlich mit gefalteten Händen, als wäre es ein Gebet an sie. Und er warf einen Blick empor, als flüchteten am nächtlichen Himmel die sinnlosen Wahngedanken in das Nichts zurück, aus dem sie gekommen waren.
XI
Er ließ drei Tage verstreichen, ehe er seinen Besuch bei Rolfs wiederholte. Er wurde wie ein alter Freund empfangen, fühlte sich wundersam zu Hause, blieb zum Abendessen und verabredete vor dem Weggehen mit Paula für morgen einen Spaziergang im Dornbacher Park. Dort draußen, unter entlaubten Bäumen, im lauen Nebel eines windstillen Novembertags, erzählte ihm Paula von ihrer frühen Mädchenzeit, und zum erstenmal sprach sie den Namen des Komponisten aus, mit dem ein Gerücht sie Vorjahren in so nahe Beziehung gebracht hatte. Auch von ihren Eltern sprach sie, und Robert glaubte zu erkennen, daß nichts schmerzlicher in ihr nachwirkte als das Verhältnis zu ihrem Vater, dessen zugleich verschlossenem und zärtlichkeitsbedürftigem Wesen sie in all ihrer Kindesliebe innerlich nahezukommen nicht vermocht hatte.
Am nächsten Abend klang der vertraute Ton der gestrigen Unterhaltung in ihnen beiden nach; nach langer Zeit zum erstenmal wieder nahm Paula ihre Geige zur Hand und spielte, von Robert begleitet, eine Beethovensche Sonate. Beide freuten sich an dem für einen ersten gemeinsamen Versuch wohlgelungenen Zusammenspiel, dem auch die Mutter mit Vergnügen lauschte; und sie beschlossen, von nun an allabendlich miteinander zu musizieren.
Nicht immer hatte die Mutter Lust oder Zeit, zuzuhören, und so blieben sie oft zu zweien. Es waren Stunden des reinsten Glücks, in denen sie sich, ohne es in Worten auszudrücken, immer inniger aneinanderschlossen; und als er eines Abends nach dem Verklingen des letzten Tons sich erhob und das Notenheft zuklappte, sah sie ihm, die Geige noch in der Hand, ernst und wie fragend ins Auge, worauf er, wie zur Antwort, einen Kuß auf ihre Stirn und dann auf ihre Lippen drückte. Sie schwiegen lange. Als er endlich etwas sagen wollte, wehrte sie leise ab. »Heute nichts mehr, ich bitte dich darum.«
Er ging. Als er aus dem Haustor trat, wurde ein Fenster über ihm geöffnet. Er blickte hinauf, Paula, einen weißen Schal dicht um den Hals geschlungen, stand oben in der Dunkelheit und winkte ihm ihren Nachtgruß zu.
Beim Nachhausekommen fand er einen Brief vor. Er kam aus Amerika, die
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