Erzaehlungen
Familie, sondern auch den Behörden keineswegs unbekannt sei. Robert schloß daraus, daß die Absicht und Möglichkeit bestehe, die Verbindlichkeiten des Abwesenden auf außergerichtlichem Wege zu lösen. Doch fühlte er sich durch diese Vermutung durchaus nicht so angenehm berührt, als natürlich gewesen wäre.
In zwiespältiger Stimmung begab er sich ins Amt, wo ihn der Sektionschef, Baron Prantner, sehr freundlich empfing und ihn mit der Mitteilung überraschte, daß Hofrat Palm aus Gesundheitsrücksichten zu Beginn des nächsten Jahres in Pension gehen dürfte. »Sie werden, lieber Herr Sektionsrat«, fügte er hinzu, »schon in nächster Zeit dem Herrn Hofrat einen Teil seiner Agenden abzunehmen haben, und Doktor Renthal, der sich während Ihrer Abwesenheit wirklich famos eingearbeitet hat, wird Sie in Ihrem Referat vorläufig weiter vertreten.« Sollte man damit gerechnet haben, dachte Robert flüchtig, daß ich nicht wiederkomme? Dann fiel ihm ein, daß Baron Prantner, der in Trauer gekleidet war, im Laufe des Sommers seine Frau verloren hatte. Obwohl Robert ihm schon von der Reise aus sein Beileid kundgegeben hatte, hielt er es doch für angebracht, auch jetzt einige Worte der Teilnahme zu äußern. Der Baron drückte ihm die Hand und sah zu Boden. Hm, dachte Robert, sollte er sie auch umgebracht haben? Das ist vielleicht viel häufiger, als man ahnt. Es wäre interessant, diesen Dingen nachzugehen. Vielleicht ahnt er das gleiche von mir und ist darum so auffallend liebenswürdig. Gibt es am Ende eine Art Freimaurerzeichen für uns Mörder? Sonderbar, er hält noch immer meine Hand fest ...
In diesem Augenblick trat Hofrat Palm ein. Robert erwiderte den Willkommgruß des Hofrats mit Unbefangenheit, und bald war zwischen den drei Herren ein berufliches Gespräch im Gange, im Verlauf dessen Robert Gelegenheit nahm, seine Ideen zur Umgestaltung des musikalischen Unterrichtswesens vorzubringen. Man hörte ihn mit Interesse an. Nachher stattete er einigen Amtskollegen in ihren Kanzleien Besuche ab, und manche beglückwünschten ihn zu seiner Genesung in so scherzhaftem Ton, als hätten sie seine Erkrankung nie recht ernst genommen.
Zu Mittag speiste er mit dem Ministerialsekretär Wegner, der ihn mit allerlei Amtsklatsch unterhielt, nachher spielten sie nach alter Gewohnheit eine Partie Billard, und so war es schon später Nachmittag, als Robert die Treppe zur Wohnung seines Bruders hinaufschritt. Da dieser noch ordinierte, meldete er sich bei Marianne als heimgekehrt und erzählte ihr von seiner Bergwanderung mit Doktor Leinbach, wobei er dessen Ausrüstung in humoristischer Weise übertrieb und insbesondere den Inhalt des Rucksacks durch Hinzuerfindung von Konservenbüchsen und Schnapsflaschen ins Lächerliche zu rücken wußte. Mit den Knaben trieb er allerhand Kurzweil, nahm den kleineren auf den Schoß und hatte dabei das Gefühl einer Vorbedeutung, ja eines heiter-trostreichen Zukunftsbildes. Otto kam aus seiner Ordination, bewillkommte den Bruder herzlich und forderte ihn auf, falls er nichts Besseres vorhabe, ihn nach Hietzing zu begleiten. Robert nahm an, und ein paar Minuten drauf rollte der Wagen durch die abendlichen Straßen der Gartenvorstadt zu.
Robert berichtete mit einiger Beflissenheit von den guten Aussichten, die sich für ihn im Amt eröffneten; dann sprach er von seinem Semmeringer Aufenthalt und konnte hierbei nicht wohl vermeiden, seiner Begegnung mit den Damen Rolf Erwähnung zu tun. Otto brachte ihnen keine sonderliche Sympathie entgegen. Seiner Auffassung nach waren sie nicht ganz ohne Schuld an dem schlimmen Verlauf, den die Angelegenheiten des Anwalts im Laufe der letzten Zeit genommen. Und es sei nicht zu verwundern, daß die Tochter, trotz ihrer Anmut, die nun allerdings schon einigermaßen im Verblühen sei, keinen Mann gefunden habe.
Der Wagen hielt vor einem Gartentor. Ein Diener öffnete, Otto trat ein, und Robert wandelte in der stillen Gasse zwischen fast entlaubten Gärten langsam auf und ab. So sehr er sich dagegen wehren wollte, die Bemerkungen Ottos über die Familie Rolf wirkten in ihm nach. Paula, gestern noch der Inbegriff seiner neuen Lebenshoffnungen, war ihm sonderbar entrückt; als er sich ihr Bild ins Gedächtnis zurückzurufen suchte, erschien es ihm als das einer nicht mehr ganz jungen, fanierten Person, in unordentlichem Morgenanzug, deren Züge denen der armen Klavierlehrerin glichen; und er spürte einen dumpfen Groll gegen sie in sich aufsteigen. Er
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