Erzaehlungen
Sonntag, hab' ich's das erstemal angehabt. Und mein fester Vorsatz war: Heute zwick' ich mir einen auf, aber einen fürs Gemüt! Ich geh' durch die Währingerstraße – rein zufällig, es hätt' ebenso gut die Alserstraße sein können –, und unter meinem Sonnenschirm schau' ich mir die Leut' an. Na, ich muß Dir sagen, im Anfang hab' ich fast die Lust an der ganzen Geschicht' verloren. – Endlich komm' ich zur Linie, schon sehr schlecht aufgelegt eigentlich. Da steht ein junger Mann bei einer Laterne angelehnt, der schaut mich an, so mit einem gewissen naiven bewundernden Blick. Mein erster Eindruck war, der wartet auf wen. Mein zweiter, der ist ein hübscher Kerl. Künstler, das war ganz klar. Brauner samtener Rock, fliegende Krawatte, absolut nicht elegant, aber einen hübschen, wohlgepflegten Teint, kleinen Schnurrbart, sehr nette Haltung. – Das wär's, was ich brauchte! – Na, denke ich mir, einen Versuch ist er wert! Ich tu' also auch, als wenn ich auf wen warten möchte, spazier' auf und ab, endlich geh' ich weiter. Er mir nach und spricht mich an. Ich muß Dir sagen, es war mir sehr angenehm. Ich war nur ein ganz kleines bißchen grob, dann hab' ich ihn neben mir gehen lassen, und die Geschicht' hat sich gemacht. Natürlich hab' ich mit meiner Vermutung recht gehabt, und er war riesig erstaunt, wie ich ihm aufs Gesicht zugesagt habe, daß er ein Dichter ist. Er hat eine wunderbar angenehme Art zu reden, so weich, so einschmeichelnd, dabei immerfort mit einer gewissen Hochachtung. Er hat sicher schon viel erlebt, und in der letzten Zeit muß ihn eine schaudervoll zum Narren gehalten haben – oder ich verstehe mich gar nicht mehr auf die Männer. – Reichtum – Reichtum hab' ich bei dem nicht zu fürchten, und die Soupers beim Sacher sowie brillante Geschenke sind ausgeschlossen. Na, und über das, was ich ihm erzählt hab', war er ganz gerührt! Du hättest es aber auch nur hören müssen! Eine Räubergeschicht' von einem Liebhaber, der mich nicht mehr gern hat, von einer alten Tant', mit der ich mich überworfen hab', und von einem kleinen Zimmer, und was ich für eine brave arme Person bin, und alles mögliche. Denk Dir, zu Fuß sind wir hinaus nach Pötzleinsdorf, und im Wald sind wir stundenlang gesessen, und ich habe mich keine Minute gelangweilt, und wie er mich auf der Bank im Arm gehalten und geküßt hat, da hab' ich eine so angenehme Empfindung gehabt wie schon lang, lang nicht. Ich weiß nicht, was ich alles im Stand gewesen wäre, wenn's nicht hellichter Nachmittag gewesen und jeden Moment Leut' vorbeigegangen wären. Eigentlich hab' ich auch so eine Art Rührung gehabt. Es ist mir eingefallen, was so ein armer Schriftsteller alles durchzumachen hat, der noch dazu sein halbes Einkommen für seine Mutter aufbraucht und natürlich von den Konkurrenten verfolgt wird und angefeindet.
Am Abend waren wir in einem kleinen Gasthausgarten, und da war er von einer Zärtlichkeit! – Und die Augen! – Sein Blick allein hat mich um Jahre jünger gemacht. Und dabei diese Bescheidenheit. Ich war ganz froh, daß er so bescheiden und still geblieben ist den ganzen Abend, es war eigentlich schön. Ich glaub', er hätte seine Braut nicht anders behandeln können wie mich. Wunderschön ist's auch gewesen, wie wir im Comfortable nach Haus gefahren sind. Ob Du mir's glaubst oder nicht – es wär' mir schrecklich gewesen, wenn er jetzt zudringlich geworden wäre. Aber kein Wort davon. Nur um ein Rendezvous hat er mich gebeten für den nächsten Tag, das war alles. Bei der Linie bin ich aus dem Wagen gesprungen. Nämlich für ihn wohne ich da in irgendeiner Seitengasse im vierten Stock. – Mindestens eine Viertelstund' hab' ich zu Fuß rennen müssen, bis ich einen Fiaker gefunden hab'! In meiner Wohnung war mir ganz merkwürdig zu Mut. Wie umgewechselt. Und dann, das besondere Glück, daß er nicht nur ein armer Teufel ist, sondern auch ein Dichter! Ein Künstler! Siehst Du, das wird einmal eine Komödienspielerei sein, von der ich was hab'! Ich muß aufhören zu schreiben, denn in einer Stunde tret' ich wieder auf.
Es küßt Dich Deine treue
Josefine
Alfred Wilmers an Theodor Dieling in Neapel
Mein lieber Theodor!
Wie lange hab' ich Dir nicht geschrieben? Einen Tag oder acht? Oder einen Monat? Oder eine halbe Jugend lang? Und warum setze ich jetzt die Feder an? Warum lieg' ich nicht lieber, wie ich jetzt so oft und ganze Stunden tue, auf meinem Diwan, die schönen Augenblicke weiterträumen, deren
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