Erzaehlungen
wollte sie jedenfalls zu Hause sein. Also jetzt ging's in ein Gasthaus, das gleich am Ausgang des Waldwegs lag. Eins dieser kleinbürgerlichen Wirtshäuser, welche ich sonst zu fliehen pflege. Aber wie hübsch war das alles heut. Wir spazierten in den Garten hinein, wo unter den großen Bäumen die Tische mit den Gartenlampen darauf und in gemessener Entfernung große Laternen standen. Sehr voll war es nicht; an einzelnen Tischen saßen ganze Familien, fürchterlich müd und durstig; an anderen zärtliche Paare, die einander bei der Hand hielten, da und dort kleine Spießergesellschaften. Und wie ich mich näher umsah, gab es auch nobleres Publikum; Sommerparteien an Stammtischen. Wir setzten uns an ein kleineres Tischchen ziemlich seitab, ich bestellte ein, haha, ein frugales Nachtmahl – wir hatten beide famosen Appetit und waren enorm glücklich.
Es war nun ganz dunkel, und wir saßen im tiefen Schatten. Eine Art von Zärtlichkeit überkam mich! Eine Art von Mitleid, könnt' ich sogar sagen, das ja eigentlich immer in der Zärtlichkeit steckt. Sie erzählte mir von ihrem Heim. Stell dir vor, ein kleines Zimmer im dritten Stock, Aussicht über die Höfe, ein sehr einfaches Zimmer natürlich; nur eines darf nie fehlen: Blumen. Früher hat
er
ihr immer die Blumen geschickt; in der letzten Zeit ist er damit nachlässiger geworden. Da hat sie sich selbst manchmal Veigerln oder Flieder gekauft und hat sie in die kleine Vase gestellt, die bei ihr auf dem Fensterbrett steht. – Endlich gingen wir, sie hing sich in meinen Arm. Wie spät ist's denn? fragte sie. Es war halb zehn. Vor dem Gartentor standen Einspänner; wir stiegen ein. Sie wollte sich durchaus nur bis an die Währingerlinie fahren lassen, in deren Nähe sie wohnt, will durchaus nicht mit dem Wagen in die kleine Gasse vorfahren, wegen der Nachbarn und wegen des Hausmeisters – na, und wohl auch wegen des Emil, meinte ich. Sie lag mehr im Wagen, als sie saß, hielt den Strohhut auf dem Schoß, und ihr Kopf mit den duftenden Haaren lag auf meiner Schulter. Mit dem Emil ist's aus, sagte sie. Es ist eigentlich schon wochenlang aus. Er will ja nichts mehr von mir wissen. Und es ist auch ganz gescheit. Und wenn du mich überhaupt wieder sehen willst, so red von Emil nichts mehr. Ich frag' dich auch nicht. Und nun schwieg sie, und so fuhren wir weiter, und ich streichelte ihre Wangen. In einer Viertelstunde waren wir bei der Linie. Da stiegen wir aus. Ich wollte sie bis zum Haustor begleiten. – Was fällt dir ein! rief sie. Jedes Kind kennt mich ja da! Und sie gibt mir einen Kuß und läßt mich stehen und lauft davon.
Sehr wohlgelaunt spazier' ich nach Hause. Zuerst aber setz' ich mich in ein Kaffeehaus draußen, um meinen Schwarzen zu trinken – denn in meinem Aufzug konnt' ich unmöglich ins Kremser oder Imperial. Also da saß ich und hatte das behagliche Gefühl, wie man es vor einer neuen Liebe hat, und freute mich auf die Küsse von morgen und auf alles andere, was morgen oder, wenn's schlimm ist, übermorgen kommen wird. Dieses Morgen ist heute, und da es nun hohe Zeit geworden, meine Maske umzutun, geliebter Freund und Dichter, beschließe ich diesen langen Brief und freue mich, bald wieder von Dir zu hören.
Alfred
jugendlicher Liebhaber
Josefine Weninger an Helene Beier in Paris
Meine liebe Helene!
Ich habe die Rouleaux heruntergelassen, sitze im Negligé da, um Dir ganz in Ruh' eine große Neuigkeit schreiben zu können.
Hast Du meinen Brief bekommen? Na, dann weißt Du auch, was mir so die letzte Zeit durch den Kopf gefahren ist und wie ich plötzlich gar keine Freud' mehr an den Drahereien gehabt habe. Nein, hab' ich mir gedacht, schön soll er sein, der Nächste, aber nur um Gottes willen nicht nobel. Und ich möcht' wieder einmal so ein liebes, kleines Abenteuer haben, wie früher einmal. Also denk Dir, da komm' ich so nach und nach auf die Idee, ich zieh' die alte Pepi wieder einmal an und nehme mir aus meinem Kasten ein Kattunkleid, was ich vor ein paar Jahren einmal in einer Stubenmädlroll' getragen hab', setz' mir einen einfachen Strohhut auf, kurz, richt' mich so à la Mädel aus der Vorstadt her. Die Lina hat ein über das andere Mal ausgerufen: Nein, so schön, aber so schön! – Und ich selbst, wie ich in den Spiegel geschaut hab', war ganz zufrieden. Im übrigen laß ich mich in dem ganzen Kostüm photographieren und schick' Dir ein Bild; ich zieh' mir's sowieso noch ein paar Mal an, wie Du gleich hören wirst. Gestern,
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