Erzaehlungen
juchhe. – Nun, ich nehme es Dir nicht übel, daß Du mich nicht verstehst! Es war am Sonntag. Das ist wenigstens ein Anfang. Also Sonntag, zwei, drei Uhr Nachmittag. Sehr warm, und über der Stadt lag die Sonne. Und die Leute aus den Vorstädten zogen über die Linie hinaus, hatten alle eine riesige Lust ins Grüne, ins Freie, und waren fidel. Zu der Zeit, wo unsere kleine Geschichte spielt (was sagst Du zu meinem Stil?), war es in den Straßen nicht mehr sehr lebendig. Unter den Fußgängern, welche gemütlich schlendernd ihren Weg gegen die Grenze der Stadt zu nahmen, befand sich ... nein, ich kann nicht, ich kann keine Novellen schreiben. Ich werde mich auf das Tatsächliche beschränken. Kurz und gut, ich hatte eine tolle Idee. Ich hatte Lust mich zu verkleiden. Ich wollte einmal ein anderer sein, weil ich mich mit mir selbst langweilte. So zog ich mir einen Samtrock an, nahm einen liegenden Kragen, eine fliegende Krawatte, setzte einen weichen Hut auf, ließ meine Handschuhe zu Hause und spazierte so davon! Du hast keine Ahnung, wie verkleidet ich mir vorkam. Ich sah aus wie ein Anstreicher. Es war freilich nicht die Lust der Maskerade allein. Ich verband einen bestimmten Zweck damit. Ich wollte die Gewißheit haben, daß ich eine eventuelle Eroberung nicht etwa dem Glauben an meine Zahlungsfähigkeit und an meinen Schneider verdankte. Ich änderte auch meinen Gang. Ich »schlenderte«, ich legte etwas Naives, Unbesorgtes, Leichtsinniges hinein. Ich war bei Gott nicht zu erkennen. Stell Dir nur vor, einen weichen Hut, ganz eingetäpscht, und eine lose Halsbinde! Um drei Uhr kam ich zur Linie, und da lehne ich mich ein paar Augenblicke an einen Laternenpfahl, zünd' mir eine Zigarette an und schau' mir die braven Bürgersleut' und die Liebespaare an, die vorbeispazieren. Auch einige Mädeln zu zweit oder dritt laß ich vorbei, ganz hübsch, ganz lieb. Da kamen eben wieder zwei, die winken zu einem Fenster hinauf, wo eine ältere dicke Frau vergnügt herunterschaut. Und ich seh', wie an so vielen Fenstern Leute herunterschauen, hemdärmelige Männer und schlamperte Weiber. Da, wo ich stehe, ist Sonne, und auf den Wällen spielen ein paar Kinder. Plötzlich wird's mir wieder etwas trübselig zumute. Ich weiß kaum warum. Diese Sonntagsbürgerlichkeit strömte plötzlich ihre ganze widerwärtige Öde über mich. Die zwei Mädeln, die schon lange an mir vorbei waren, stelle ich mir in ihrem Heim vor, sehr beschäftigt in der Küche und mit der Wäsche und zur Unterhaltung das Weltblatt lesend. Und den Herrn Vattern, wie er über die Steuern schimpft, und alles mögliche. Diesen Unterschied, den sie da alle fühlen, daß heute Sonntag ist und sechs andere Tage nicht – kurz, sehr zuwider! –
Da seh' ich plötzlich was ganz Entzückendes. Ein Mäderl, nicht mehr ganz jung, das heißt zwei- oder dreiundzwanzig. Wundervoll – und ganz allein. Einfaches geblümtes Kleid, famos gemacht, hübscher breiter Strohhut, wunderbare Augen, schlanke, schmiegsame, nicht große Gestalt, Sonnenschirm aufgespannt. Wie sie an mir vorübergeht, sieht sie mich groß an und lächelt. Dann wendet sie sich um, geht sogar zurück, an mir vorbei, ohne mich anzuschauen. Nur zwanzig Schritte, und dann wendet sie sich wieder um. – Ah, ein Rendezvous. Ich habe Zeit und warte mit. Das Unglaubliche geschieht – und dieses Wesen wartet vergeblich! – Ich schau' sie mir näher an; wirklich reizend! so lieb! Über die allererste Jugend und gottlob auch die allererste Unschuld hinaus. Kleine verräterische Falten um die Augen und einen Zug um den Mund, der erst kommt, wenn man viel geküßt und gebissen hat. Die Gestalt schmiegsam und an das Anschmiegen gewöhnt. – Aber was Naives in dieser bewußten Erfüllung ihres Frauenloses. So lieb! – Und
er,
er kam nicht! Ich schau' ihr zu, spazierengehen, sie kümmert sich kaum um mich, wobei wohl etwas Koketterie war, und endlich, nach etwa zehn Minuten, verzieht sie halb ärgerlich, halb verächtlich den Mund und nimmt einen eiligen Schritt, aber nicht in die Stadt zurück, sondern hinaus gegen die Währinger Hauptstraße. Da geh' ich ihr nach, und ohne eine Sekunde zu verlieren, versuch' ich mein Glück. Ich sag' ein paar belanglose Worte, sie darauf, sich nach mir umwendend, beinahe finster: Was wollen denn
Sie
? Ich ließ mich nicht abschrecken, und ein Gespräch war bald im Gange. Sie hatte die Absicht, »just« aufs Land hinauszugehen, weil es überhaupt mehr auf die gute Luft ankäme als
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