Erzählungen
eingestürzt wäre.
Man verlangte stürmisch nach Abstimmung, und da diese durch Acclamation erzielt werden sollte, verdoppelte sich das Geschrei:
»Nach Virgamen! Nach Virgamen!«
Der Bürgermeister verpflichtete sich nun, die Armee zusammenzubringen, und verhieß demjenigen seiner Feldherren, der als Sieger heimkehren würde, die Ehren eines Triumphs, wie er zur Zeit der Römer üblich war.
Der Apotheker Josse Liefrink wollte, obgleich seine Ansicht zurückgeschlagen war, doch nicht gern diesen Schein auf sich haften lassen und suchte sich noch durch eine Bemerkung Geltung zu verschaffen. Er hob hervor, daß den siegreichen römischen Feldherren nur dann ein Triumph bewilligt worden wäre, wenn sie dem Feinde fünftausend Mann getödtet hatten…
»Sehr gut! Sehr gut! Einverstanden! schrieen die Anwesenden wie von Sinnen.
– Da sich aber die Bevölkerung der Gemeinde Virgamen nur auf 3575 Seelen beläuft, nahm der Apotheker wieder das Wort, so würde das seine Schwierigkeiten haben, wir müßten denn ein und dieselbe Person mehrmals tödten…«
Aber der unglückliche Logiker konnte nicht ausreden, denn man hatte ihn bereits von mehreren Seiten gepackt, und er wurde halb zerstoßen und zerquetscht zur Thür hinausgeworfen.
»Bürger, hub jetzt der Krämer und Detaillist Pulmacher an, mag der feigherzige Pharmaceut sagen, was ihm beliebt, ich aber für meine Person mache mich anheischig, fünftausend Virgamener zu tödten, wenn Ihr meine Dienste annehmen wollt.
– Fünftausend fünfhundert! schrie ein noch resoluterer Patriot.
– Wollte ich sagen, sechstausend sechshundert! verbesserte sich der Krämer.
– Siebentausend! rief der Conditor Johann Orbideck aus der Hemling-Straße, der auf bestem Wege war, sein Glück in Schlagsahne zu machen.
– Zugesprochen!« schrie der Bürgermeister van Tricasse, als er bemerkte, daß ein Moment des Schweigens eintrat und Niemand mehr zu bieten wagte.
Und der Conditor Johann Orbideck war hiermit zum Oberfeldherrn der Truppen von Quiquendone ernannt.
Fußnoten
1 Anspielung auf eine Stelle in Lafontaine’s Fabel
Les animaux malades de la peste.
Zwölftes Capitel, in dem der Famulus Ygen eine vernünftige Meinung äußert, die aber von Doctor Ox energisch zurückgewiesen wird.
»Nun, Meister? begann andern Morgens Famulus Ygen, als er in den Trog seiner ungeheuren Säulen einen Eimer Schwefelsäure nach dem andern goß.
– Nun, habe ich nicht Recht gehabt? erwiderte Doctor Ox, die physische Entwickelung, die Moralität, die Würde, die Talente, der politische Sinn einer Nation hängen einzig und allein von den Molekülen ab…
– Das wohl, aber…
– Aber?…
– Meinen Sie nicht auch, daß wir jetzt die Sache weit genug getrieben haben, und daß den armen Teufeln jetzt Ruhe zu gönnen wäre?
– Nein! nein! rief der Doctor, o nein, gewiß nicht! ich werde meinen Plan bis zum Ziel verfolgen.
– Wie Sie wollen, Meister, aber der Versuch ist doch jetzt vollständig durchgeführt, und ich denke wirklich, es wäre Zeit…
– Wozu?
– Nun, den Hahn zu schließen.
– Was ficht Sie au? rief Doctor Ox. Noch ein Mal eine solche Bemerkung, und ich erwürge Sie!«
Dreizehntes Capitel, in dem noch einmal bewiesen wird, daß man, von einem erhabenen Standpunkt aus, alle Erbärmlichkeiten des menschlichen Lebens beherrscht.
»Sie meinen also? fragte der Bürgermeister van Tricasse den Rath Niklausse.
– Ich meine, daß der Krieg unvermeidlich ist, lautete die in festem Ton gesprochene Antwort, und daß die Stunde geschlagen hat, wo unsere Beschimpfung gerächt werden soll.
– Nun! ich kann Ihnen nur wiederholen, versetzte der Bürgermeister in scharfem Ton, daß die Bevölkerung von Quiquendone ihres Namens unwerth sein würde, wollte sie diese Gelegenheit, ihr Recht in Anspruch zu nehmen, unbenutzt vorübergehen lassen.
– Und ich erkläre Ihnen, daß unsere Cohorten sich ohne Zögern versammeln und vorrücken müssen.
– Wirklich? Herr, wirklich? und so wagen Sie zu mir zu sprechen?
– Ja, zu Ihnen, Herr Bürgermeister; mögen Sie immerhin einmal die Wahrheit hören, wenn sie Ihnen auch etwas bitter schmecken mag.
– Sie selber sollen die Wahrheit zu hören bekommen, Herr Rath, schrie wüthend der Bürgermeister, und besser aus meinem Munde, als von irgend sonst Jemand! Herr! jede Verzögerung würde entehrend für uns sein. Neunhundert Jahre lang hat die Stadt auf den Augenblick der Genugthuung für die erlittene Schmach gewartet, und jetzt
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