Erzählungen
werden wir auf den Feind losmarschiren, mögen Sie sagen, was Sie wollen, mag es Ihnen so passen oder nicht!
– Ah! also von dieser Seite fassen Sie die Sache auf, erwiderte derb der Rath. Nun, beruhigen Sie sich, wir werden ohne Sie ausziehen, wenn es Ihnen nicht beliebt mitzukommen!
– Oho! der Bürgermeister steht oben an und hat zu entscheiden, Herr!
– Ein Rath auch, Herr van Tricasse!
– Sie beleidigen mich, Herr, indem Sie allen meinen Entschließungen entgegen arbeiten, rief der Bürgermeister, dessen Fäuste sich krampfhaft ballten, als wollten sie sich in schlagende Projectile verwandeln.
– Und Sie beleidigen mich, indem Sie meinen Patriotismus in Zweifel ziehen, rief Niklausse, der sich gleichfalls zum, ›Zuschlagen‹ bereit machte.
– Ich sage Ihnen, Herr, daß die Armee in zwei Tagen von Quiquendone ausmarschiren wird!
– Und ich wiederhole auf das Entschiedenste, daß nicht achtundvierzig Stunden vergehen werden, ohne daß wir bereits vor dem Feinde stehen!«
Man kann aus diesem Bruchstück der Unterhaltung leicht abnehmen, daß die beiden Sprecher genau dasselbe wollten. Beide beabsichtigten die Schlacht; aber da die übergroße Aufregung den Rath sowohl als den Bürgermeister vollständig absorbirte, hörte Keiner auf die Worte des Anderen und glaubte, daß ihm widersprochen würde; die Unterredung hätte nicht stürmischer sein können, wenn Beide ganz entgegengesetzter Ansicht gewesen wären.
Die beiden Männer, früher so gute Freunde, warfen sich die wildesten Blicke zu, und an ihren hochgerötheten Wangen, den zusammengezogenen Pupillen, dem Zittern ihrer Muskeln und vor Allem an ihrer Stimme, die zu einem förmlichen Brüllen ausartete, merkte man, daß sie bereit waren, auf einander loszugehen.
In dem Augenblick aber, wo die Gegner handgemein werden wollten, hielt der Schlag einer Thurmuhr sie in ihrem Eifer auf.
»Endlich ist die Stunde herangekommen, rief der Bürgermeister aus.
– Welche Stunde? fragte der Rath.
– Die Stunde, da wir uns auf den Thurm zur Sturmglocke begeben wollten.
– Richtig, und ob es Ihnen nun lieb ist oder nicht, ich werde hingehen, Herr!
– Und ich auch.
– Gehen wir!
– Ja, gehen wir!!«
Diese letzten Worte hätten der Vermuthung Raum geben können, daß eine feindliche Begegnung in Aussicht genommen war, und daß die Gegner sich auf den Kampfplatz begeben wollten; aber dem war durchaus nicht so. Man hatte verabredet, daß der Bürgermeister und Rath Niklausse – als die beiden Hauptnotabeln der Stadt – nach dem Rathhause gehen, und von dem sehr hohen Thurm desselben die umliegende Landschaft einer genauen OcularInspection unterwerfen sollten, um hiernach ihre strategischen Anordnungen für den Marsch der Truppen etc. treffen zu können.
Obgleich beide Herren in Bezug auf ihren Gesprächsgegenstand vollkommen einer Meinung waren, hörten sie unterwegs nicht auf, sich zu zanken. Ihre Stimme hallte in den Straßen wieder, aber da sämmtliche Vorübergehende ganz ebenso schrien wie sie, hatte das nichts besonders Auffallendes, und Niemand achtete darauf. Wäre zu jetzigen Zeiten Jemand ruhig seines Weges gegangen, man hätte ihn als ein Ungeheuer angesehen.
Bürgermeister und Rath waren im Paroxysmus ihrer Wuth bis an die Vorhalle zu den Sturmglocken gekommen; der Zorn färbte ihre Gesichter nicht mehr roth, sondern blaß; denn obgleich sie bei der Erörterung ganz dieselbe Ansicht gehabt hatten, war die Aufregung so groß gewesen, daß sie ihnen in die Eingeweide gefahren war und ihnen Krämpfe verursacht hatte. Bekanntlich legt die Blässe Zeugniß dafür ab, daß der Zorn auf die äußerste Grenze gestiegen ist.
An der untersten Stufe der engen Thurmtreppe fand eine förmliche Explosion statt. Wer sollte vorangehen? wer zuerst die Stufen der Wendeltreppe erklimmen? Wollen wir der Wahrheit treu bleiben, so müssen wir berichten, daß die beiden Notabeln sich hin-und herpufften wie die Gassenjungen, und daß schließlich Rath Niklausse, der, wie es schien, alle Rücksicht gegen seinen Vorgesetzten, den ersten Beamten der Stadt, vergessen hatte, Herrn van Tricasse mit Gewalt bei Seite stieß und das dunkle Schneckengewinde hinaufkletterte. Man mußte zuerst auf allen Vieren kriechen, und die beiden Herren warfen sich während dieser gemeinsamen Promenade im Finstern so unzweideutige Bezeichnungen an den Kopf, daß man wirklich befürchten mußte, es würde oben, auf der dreihundertsiebenundfünfzig Fuß hohen Plattform des Thurms,
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