Erzählungen
erhaben schön! Sehen Sie, mein Freund, wie reizend sich der Vaar dort zwischen den Bäumen hinschlängelt.
– Und weiterhin die Höhen von Saint-Hermandad! wie anmuthig grenzen sie den Horizont ab! Wie malerisch hat die Natur diese Gruppen grüner Bäume formirt! Ach, die Natur, die Natur, Niklausse! wie kann sich je mit ihr messen, was Menschenhand erschuf?
– Es ist wahrhaft entzückend, mein trefflicher Freund, versetzte der Rath; sehen Sie hier diese Heerden auf der grünenden Wiese; diese Rinder, Kühe und Hammel… –
– Und diese Arbeiter auf den Feldern; man könnte sie allenfalls für arkadische Hirten halten; es fehlt ihnen nur die Schalmei!
– Und über dem ganzen fruchtbaren Lande der schöne blaue Himmel, den kein Wölkchen trübt. Ach, Niklausse, man könnte hier zum Dichter werden! Ich begreife nicht, warum der heilige Simeon der Stylit nicht der größte Poet der Welt gewesen ist.
– Vielleicht, weil seine Säule nicht hoch genug war«; meinte der Rath mit sanftem Lächeln.
In diesem Augenblick setzte sich das Glockenspiel von Quiquendone in Bewegung; und die abgestimmten Glöckchen ließen eine ihrer lieblichsten Melodien erklingen. Die beiden Freunde geriethen förmlich in Extase.
Plötzlich hub der Bürgermeister mit seiner ruhigen Stimme an:
»Aber, Freund Niklausse, was wollten wir eigentlich hier oben auf dem Thurme machen?
– Ich glaube gar, fügte der Rath hinzu, wir lassen uns von unsern Träumereien hinreißen…
– Weshalb, in aller Welt, sind wir hier herausgegangen, fragte Herr van Tricasse noch ein Mal.
– Doch wohl, um diese reine Luft einzuathmen, die durch menschliche Schwächen nicht verpestet wird, gab Niklausse zur Antwort.
– So wollen wir jetzt wieder hinabsteigen, Freund Niklausse.
– Ja, lassen Sie uns hinabsteigen, Freund Tricasse.«
Die beiden Notabeln warfen noch einen Blick auf das wundervolle Landschaftsbild, das sich vor ihren Augen entrollte, und dann machten sich Beide, der Bürgermeister voran, langsamen Schrittes wieder auf den Rückweg. Rath Niklausse ging einige Stufen hinterher. Jetzt waren sie an dem Treppenabsatz angekommen, auf dem sie sich beim Hinaufsteigen ausgeruht hatten, und schon begann von Neuem ein Roth der Erregung ihre Wangen zu färben. Sie blieben einen Augenblick stehen und setzten dann mit gestärkten Kräften ihren Weg fort.
Nach einer Minute wandte der Bürgermeister den Kopf und bat, daß Niklausse seine Schritte mäßigen möchte, da er ihn »genire«, und als Beide ungefähr zwanzig Stufen weiter gekommen waren, befahl er ihm nachdrücklich, stehen zu bleiben, damit er einen Vorsprung gewinnen könne.
Niklausse erwiderte unartig, er habe keine Lust, fortwährend zu warten, bis es dem Herrn Bürgermeister gefällig sei, und ging ruhig weiter.
Tricasse entgegnete nicht weniger scharf, und nun entfuhr dem gereizten Rath eine verletzende Anspielung auf das Alter des Bürgermeisters, der doch durch seine Familientraditionen dazu bestimmt war, noch eine zweite Hochzeit zu feiern.
Herr van Tricasse gab seinem Rath zu verstehen, daß diese Aeußerung nicht ohne bedenkliche Folgen für ihn bleiben werde, und ging noch zwei Stufen weiter hinunter; nun aber verlangte Niklausse, daß er vorangehen wolle, und da die Treppe schmal und an dieser Stelle ganz dunkel war, mußte der dadurch herbeigeführte Zusammenstoß sehr gefährlich werden.
Von den Ehrentiteln, die jetzt zwischen den beiden Herren hin und wieder flogen, nenne ich »Tölpel« und »ungehobelter Mensch« nur als die harmlosesten.
»Wir werden ja sehen, Sie größter aller Dummköpfe, was für eine Rolle Sie in unserem Kriege spielen und in welcher Reihe Sie marschiren werden! rief der Bürgermeister.
– Jedenfalls in der Reihe vor der Ihrigen, Sie alberner Kerl!« rief Niklausse zurück.
Dann folgte neues Geschrei, und es klang, als ob zwei Körper an einander prallten.
Wie war ein so plötzlicher Stimmungswechsel möglich? wie konnten sich diese beiden, oben noch so friedlichen Schafe zweihundert Fuß tiefer in Tiger verwandeln?
Wir wissen das Räthsel nicht zu lösen; als aber der Thurmwächter, von einem lauten Geschrei aufgescheucht, die Thür zur Treppe öffnete, sah er Bürgermeister und Rath mit argen Quetschungen und Contusionen herankommen. Sie rauften einander aufs Jämmerlichste an den Haaren, die glücklicher Weise nur an Perrücken saßen, und ihre Augen quollen ihnen fast aus den Köpfen.
»Sie sollen mir Genugthuung geben! rief der
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