Erzählungen
breit, und die Jeune-Hardie mußte tausend Umwege machen, durch die sie zuweilen dem Winde gerade entgegen gebracht wurde.
Penellan nahm sich mit väterlicher Sorge Mariens an; er veranlaßte sie, trotz der Kälte täglich zwei bis drei Stunden auf dem Verdeck zuzubringen, denn körperliche Bewegung war eine für ihre Gesundheit unumgängliche Bedingung.
Mariens Muth wurde übrigens nicht schwächer; sie ermunterte sogar die Matrosen der Brigg durch ihre Worte, und die Verehrung der Mannschaft für sie steigerte sich mehr und mehr. André Vasling bemühte sich mehr um sie als je zuvor und nahm jede Gelegenheit wahr, um mit ihr eine Unterhaltung anzuknüpfen; das junge Mädchen nahm jedoch seine Zuvorkommenheit mit einer gewissen unwillkürlichen Kälte auf, die vielleicht in einem ahnenden Gefühl ihren Grund hatte. Man kann sich leicht denken, daß die Zukunft weit mehr als die Gegenwart das Thema von André Vasling’s Unterhaltungen war, und daß er kein Hehl daraus machte, wie wenig Hoffnung er für die Rettung der Schiffbrüchigen hege. Seiner Ansicht nach war ihr Untergang eine feststehende Thatsache, und er ließ oftmals durchblicken, daß Marie jetzt die Sorge für ihre Existenz in die Hände eines Andern legen dürfe.
Zum großen Verdruß André Vasling’s hatte jedoch Marie seine Andeutungen noch nicht verstanden, wahrscheinlich, weil diese Unterhaltungen immer nur sehr kurze Zeit währten. Penellan fand immer irgend einen Vorwand, um sie zu unterbrechen und die Wirkung der Reden André’s durch Worte der Hoffnung null und nichtig zu machen.
Marie blieb übrigens nicht unbeschäftigt. Nach den Rathschlägen des Untersteuermanns sorgte sie für ihre Winterkleider und mußte, um der Temperatur in diesen kalten Breiten entgegen gehen zu können, ihre Toilette einer totalen Umgestaltung unterwerfen. Sie machte sich eine Art Pelz-Beinkleid, dessen untere Ränder mit Robbenfell versehen waren; ihre enge Unterkleidung reichte nur bis an die Unterschenkel, um nicht mit den Schneeschichten in Berührung zu kommen, mit denen der Winter die Eisflächen bedeckte, und ein eng anschließender, mit Capuchon versehener Pelzmantel schützte ihren Oberkörper.
Auch die Männer fertigten sich in ihrer arbeitsfreien Zeit warme Kleidungsstücke, wie z.B. hohe Stiefel aus Robbenfell, die ihnen gestatten sollten, ungestraft auf ihren Forschungsreisen durch tiefen Schnee zu waten. So arbeiteten sie die ganze Zeit während ihrer Fahrt durch die enge Straße.
André Basling war ein sehr geschickter Schütze und erlegte häufig Wasservögel, die in großen Massen um das Schiff schwärmten. Eine Art Eidergänse und Schneehühner lieferten der Mannschaft vorzügliches Fleisch, das als Abwechselung von dem Salzfleisch sehr willkommen war.
Endlich, nach tausend Umwegen, bekam die Brigg das Cap Brewster in Sicht. Eine Schaluppe wurde in’s Meer gelassen, und Johann Cornbutte und Penellan fuhren nach der Küste, die gänzlich verödet war.
Alsbald steuerte die Brigg auf die im Jahre 1821 von dem Kapitän Scoresby entdeckte Insel Liverpool zu, und die Mannschaft konnte ein lautes Freudengeschrei nicht zurück halten, als sie die Eingeborenen auf der Küste daher eilen sah. Es wurde sofort ein Verkehr angebahnt, und da Penellan einige Worte ihrer Sprache kannte, und die Eingeborenen wiederum einige landläufige Redensarten der Schiffsmannschaft verstanden, die sie wahrscheinlich von Wallfischfängern gelernt hatten, war dies nicht mit gar zu großen Schwierigkeiten verknüpft.
Die Grönländer waren klein und untersetzt; ihr Wuchs überschritt nicht die Größe von vier Fuß zehn Zoll. Sie hatten röthlichen Teint, ein rundes Gesicht, niedere Stirn, glatte schwarze Haare, die auf ihren Rücken herabfielen, und ihre Zähne waren verdorben und wie von einem Aussatz behaftet, was den ichthyophagischen Völkern eigenthümlich ist.
Um sich von der Schiffsmannschaft Kupfer-und Eisenstücke einzutauschen, worauf die armen Leute sehr begierig sind, brachten sie Bärenpelze, Felle von Seekälbern, Seehunden, Seewölfen und all solchen Thieren herbei, die man unter dem Namen »Robben« begreift. Johann Cornbutte bekam diese Gegenstände, die von so großem Nutzen für ihn werden sollten, zu außerordentlich niedrigem Preise.
Dann machte der Kapitän den Eingeborenen verständlich, daß er nach einem gestrandeten Schiff suche, und fragte, ob sie ihm keine Auskunft darüber geben könnten, worauf einer von ihnen sogleich eine Art Schiff
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