Erzählungen
der Welt, muss sie entdeckt werden. Dann kann sie vielleicht Filmstar werden, oder, wenn sie Engländerin ist, fürs Unterhaus kandidieren. Aber eine derartige Entdeckung hängt immer vom Zufall ab. Zeno musste zwei Jahre auf diesen Zufall warten ...
In dieser Zeit hockte sie regelmässig von sechs Uhr früh bis neun Uhr abends rechts vom Eingang und rief den Vorübergehenden zu:
»Makasch laver, Caporal?«
Was bedeutete, ob der Korporal nichts zu waschen habe. Für Zeno war jeder Uniformierte aus unerfindlichen Gründen ein Korporal. Sogar den kleinen, dicken Capitaine Chabert, der den Posten kommandierte, nannte sie so. Das war zwar nicht weiter verwunderlich, denn der Capitaine hatte einen Abscheu gegen Galons. Er trug nirgends auf seiner Uniform die Zeichen seines Grades – die drei goldenen Tressen.
Als aber an einem heissen Junimorgen der Wachtposten am Tor seinen Stand bezog, hielt er vergebens Ausschau nach Zeno. Er wurde um acht Uhr abgelöst, auch sein Nachfolger wartete umsonst auf Zenos Erscheinen. Sie kam nicht, den ganzen langen Vormittag kam sie nicht.
Das gab natürlich eine Sensation.
Während der Siesta, zwischen elf und drei Uhr, suchten die Legionäre gewöhnlich den schmalen Schatten auf, den die vorspringenden Wellblechdächer der Baracken warfen – in den Baracken war es nicht auszuhalten, die Hitze dort drinnen war dick wie in einem Backofen – und dann gab es noch Wanzen (und Wanzen haben keine Furcht vor der Hitze, im Gegenteil, sie lieben sie ...).
Dort, in dem schmalen Schatten, wurde Zenos Verschwinden ausgiebig verhandelt. Es gab eben wenig Abwechslung, und da war jede Neuigkeit willkommen.
War Zeno entführt worden? Hatte Zeno sich verheiratet? War sie krank?
Ähnliche Hypothesen stellte während des Abendessens inder Unteroffiziersmesse Adjutant Cattaneo auf. Dieser Adjutant war gross und grau, mit einem riesigen Pfeffer- und Salzschnurrbart, ein Analphabet übrigens; er liess sich seine Rapporte immer von andern schreiben und zahlte ihnen dafür einen Liter, zwei Liter Wein, je nachdem er bei Geld war ... Er also interessierte sich ungemein für das Schicksal Zenos, er bedauerte lebhaft, das Mädchen nie so richtig betrachtet zu haben. Aber da er phantasiearm war, bewegten sich seine Theorien in den gleichen Bahnen wie die der Legionäre: Heirat? Entführung? Krankheit? Sergeant Sitnikoff, der behauptete, einmal Rechtsanwalt in Odessa gewesen zu sein – vielleicht stimmte es, denn er hatte eine schöne Schrift und leitete die Verpflegung des Postens, auch auf Spesenrechnungen musste er sich verstehen, denn er hatte immer allerhand Geld in der Tasche –, Sergeant Sitnikoff also grinste, während der Adjutant seinen Theorien nachging und seine Unterlassung betrauerte.
Schliesslich ging dies Grinsen dem Adjutanten auf die Nerven, und er fragte Sitnikoff gerade heraus, ob er etwas über Zeno wisse.
»Ja«, sagte Sitnikoff. »Ich habe Zeno gestern ihrem Vater abgekauft, für dreihundert Franken ...«
Der Adjutant wurde rot und wild, denn er dachte, der Sergeant wolle sich über ihn lustig machen. Aber Sitnikoff erklärte die Sache auf jene höfliche, weltmännische Art, die dem Adjutanten immer so arg auf die Nerven ging.
»Ich bin oft an dem Mädchen vorbeigegangen«, sagte Sitnikoff, »und habe es kaum beachtet. Aber gestern langweilte ich mich zufällig. Und da dachte ich mir, ich könnte der guten Zeno eigentlich einmal ein neues Kleid kaufen. Sie habe es bitter nötig ... Ich winkte ihr also, sie kam ohne weiteres mit; daraus ersah ich, dass das Mädchen Vertrauen zu mir hatte. Und das freute mich. Wir gingen zum Juden, kauften dort Stoff, ich bekam ihn billig, denn ich drohte ihm, wenn er zu teuer sei, würdeich mir einen andern Schaflieferanten suchen. Als wir fertig waren, forderte mich Zeno in ihrem Kauderwelsch auf, sie ins Ksar zu begleiten ...«
»Im Ksar bist du gewesen, Sitnikoff? Weisst du nicht, dass das gefährlich ist? Einem haben sie den Kopf abgeschnitten ...«
Sitnikoff winkte ab, das Kopfabschneiden schien ihn kalt zu lassen.
»Die Leute mögen mich gern«, sagte er. »Mir tun sie nichts. Ich habe ihnen oft mit Kaffee ausgeholfen, sie kennen mich ...«
»Natürlich, die Herren von der Verwaltung ...« meinte der Adjutant boshaft. »Du hast's gut, du kannst dir's leisten ...«
»Sehen Sie, mein Adjutant«, sagte Sitnikoff, der alle seine Kameraden prinzipiell siezte, »es hat alles seine Vorteile. Man hat mich also gut empfangen. Ich habe vor der
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