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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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dem Besitzer der blankgewichsten Gamaschen.
    »Ihnen geht's wohl zu gut?«
    Aber ich musste weiter lachen. Die Tränen liefen mir über die Backen, ich hielt mir den Magen – und da liess mich der Gamaschenbesitzer in Frieden ziehn; es war eben Sonntag. Einen Augenblick lang hatte ich Ruhe. Das Hündlein war verschwunden. Ich sah den Frühlingsabend, er war sonnig; ich sah das zarte Grün der ersten Blätter, und die Luft war ganz leicht mit Staub gezuckert.
    Da kam die zweite Woge ... Sie war nicht mehr bläulich und glasklar, sie bestand nicht mehr aus eisigem Gelächter, nein, unsichtbar war sie und stieg in meinem Innern auf, so zwar, dass mein Blut sich ausdehnte, mein Körper wuchs. Plötzlich war ich grösser als der zweistöckige Kasernenbau vor mir, ein Gigant war ich!
    Die Woge hatte mich zu riesenhafter Grösse auseinandergezerrt. Mit einem Schritt hätte ich, davon war ich tief im Innern überzeugt, über den Bau vor mir schreiten können, mühelos. Unendlich lange Zeit schien dieser Zustand zu dauern, und dann zersprang er wie Glas, weil ihn der Stundenschlag einer nahen Glocke anrührte.
    Einen Augenblick war ich wieder ganz nüchtern, und in dieser kurzen Spanne fasste ich den Entschluss, schleunigst ins Bett kriechen. Oh, diese Arbeit!
    Unser Schlafraum lag im ersten Stock. Die Stiege, die dort hinaufführte, wurde in der Mitte durch einen Absatz unterbrochen, der durch ein Fenster Licht empfing, dann kehrte die Treppe. Ich habe dreiviertel Stunden gebraucht, nur um den Absatz zu erreichen, denn ich war ja so riesig gross, dass ich Angst hatte, mit einem Schritt den Absatzzu verfehlen und mit dem Fuss durch das Gangfenster zu fahren. Also Vorsicht! Vorsicht! – Zum Glück war ich allein im Stiegenhaus und konnte meine akrobatischen Übungen ohne Zuschauer ausführen.
    Als ich endlich im Bett lag, verlor der Rausch seinen Reiz. Ich träumte dunkel von Parfümfabriken und von Färbereien.
    Nach zwei Tagen war das ärgste Kopfweh vorbei, und ich konnte Mammut besuchen. Er drückte mir sein Missfallen aus.
    Warum hatte ich ihn am Samstagabend im Stich gelassen? Warum war ich nicht gekommen?
    Ich erzählte ihm, was geschehen war. Da begann Mammut zu lachen, er lachte, wie nur Neger oder Mischlinge mit schwarzem Blut zu lachen verstehen.
    »Lach nicht, Chuja!« bat ich; denn die grosse Gelächterwoge, die mich überschwemmt hatte beim Anblick eines Hündleins Schwanz, wollte wieder auf mich stürzen, und Mammut, der ein Gentleman war, hörte auf zu lachen und schlug mir vor – königlich war seine einladende Gebärde –, mit ihm ins Haman, ins Dampfbad zu gehen. Dort hat mir ein Masseur den letzten Rest Gift aus dem Körper geknetet.

Zeno
    Der Posten Gourrama, im südlichen Marokko, war von der dritten Compagnie montée besetzt. Rechts vom Eingang sass alle Tage Zeno. Sie trug ein blaues, zerschlissenes Kleid (wenn man von einem Kleid spricht, ist es eine Übertreibung: Es war eher ein langes Stück Stoff, das um den Körper gewickelt war; die braune Haut sah an vielen Stellen durch), hockte auf dem Boden und wartete. Die Sonne schien heiss auf ihre schwarzen Haare, die fettig waren und verfilzt.
    Zeno hatte schmale Lippen und winzige Ohren. Über ihrer Nasenwurzel war ein kreuzförmiges Ornament eintätowiert. Vielleicht das Zeichen ihres Stammes. Am Abend ging sie ins Ksar zurück, in das Araberdorf, das aber eigentlich gar kein Dorf war, sondern aussah wie ein verpfuschter babylonischer Turm. Ein einziges Gebäude, aus getrocknetem Lehm erbaut, übereinandergeschichtet, mit vielen Gängen, mit Kellern. Uns war es verboten, dort zu verkehren. Es war einem Unvorsichtigen einmal der Kopf abgeschnitten worden.
    War einer von uns zu faul, selbst seine Wäsche zu waschen, so gab er sie Zeno. Dann ging sie hinunter zum Oued, zum kleinen Flüsschen, das mit seinem spärlichen Wasser einigen Feigen- und Olivenbäumen gestattete, recht und schlecht zu gedeihen, und sie ging sparsam mit dem Seifenstück um, das ihr anvertraut war. Nach dem Füttern der Maultiere sammelte sie die verstreuten Gerstenkörner. Sie erzählte, damit backe sie Brot.
    Niemand beachtete sie, obwohl sie jung war; kein Mann bemerkte, dass sie wohlgewachsen war. Hin und wieder hatte ein alter Sergeant versucht, Zeno für sich zu kapern. Aber das Mädchen biss und kratzte. So liess man es sein. In der Unteroffiziersmesse wurde behauptet, sie sei reizlos ...Bevor eine Frau eine Rolle spielen kann, sei es in der Gesellschaft oder sonst auf

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