Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
Vom Netzwerk:
einen Marokkaner geheiratet, sie hätte schuften müssen wie ein Lasttier. Auf dem kleinen Feld, im Garten.
    So konnte sie sich pflegen, sie wurde eine Schönheit. Später ging sie nach Casablanca, wo ein Farmer sie regelrecht heiratete.
    Wir unterschätzen manchmal die Segnungen der Kultur und der Kolonisation.

Das alte Jahr
    Selbst Baumann, ein St. Galler, den ein Maulesel mit dem Huf mitten in die Stirn getroffen hatte und der seither nicht mehr ganz gescheit war, selbst Baumann, den man im Posten für den Dümmsten hielt, hatte begriffen, warum sich Schilasky gemeldet hatte, als ein neuer Kutscher für die Kompagnie-Araba verlangt worden war. Eine Araba – das ist ein Zweiräderkarren, ziemlich leicht gebaut, der von einem Gespann gezogen wird, das aus drei Mauleseln besteht. Und zwar werden die drei Tiere nebeneinander eingespannt ...
    Schilasky hatte sich gemeldet, weil er Russe war – er hatte sich für diesen Posten Anfang November gemeldet ... November! – Im November fiel wohl in Russland der Schnee in grossen Massen vom Himmel und bedeckte die Erde mit einer dicken Schicht. Wer weiss, wie dick die Schicht war ... Die Russen der dritten Sektion behaupteten, sie sei manchmal zwei Meter hoch – die Schicht. Aber auf die Erzählungen von Russen ist kein Verlass, darum behaupteten alle, die Russen täten übertreiben. Nicht einmal die Bestätigung des Sergeanten Sitnikoff, der allgemein als wahrheitsliebend bekannt war, vermochte die Zweifler zu überzeugen. Aber das hinderte Schilasky nicht, mit seiner gedehnt-singenden Stimme zu sagen: »Zwei Meter hoch der Schnee. Und die Ebene – weit, weit unändlich« (er dehnte das »ä«). »Schlitten fahren darüber hin. Eine Troika – ein Dreigespann. Es fliegt« (Schilasky sagt »flickt«) »über die Ebene dahin, und der Schnee stiebt auf von den Hufen ...« Eine Troika in Russland – eine Araba in Nordafrika. Die beiden Gefährten hatten das eine gemeinsam, dass sie mit drei Zugtieren bespannt waren, drei Zugtieren, die nebeneinander liefen. Aber bei uns flog das Gefährt nicht über die Ebene, es torkelte mühselig übers »Bled«, über die Ebene,die weit war und flach wie ein Teller. Büschel Alfagras wuchsen darauf, und zwischen den Büscheln staken braune Badeschwämme, vollgesogen mit Wasser – das war die Erde. Aber Schilasky kutschierte mit seiner Araba über diese vollgesogenen Badeschwämme, und die zwei Meter hohen Räder drehten sich stolpernd; Schilasky sagte: »Yoptoyoumatj, hü, vorwäärts ...« Und die Maultiere wackelten mit den Ohren, ihre winzigen Hufe versanken in der schwammigen Erde, und jedesmal gab es einen kleinen Knall, wenn sie die Füsse aus dem zähen Morast zogen ...
    Wie gesagt, selbst Baumann hatte begriffen, warum Schilasky sich zur Araba gemeldet hatte. Es musste ihn an die Heimat erinnern, und zwar auf dem Umweg über das Dreigespann: Troika – Araba ... Und vielleicht begriff gerade der St. Galler Baumann, dem ein Maultierhuf sein bisschen Intelligenz noch arg reduziert hatte, den Schilasky am besten. Denn Baumann litt an Heimweh. Heimweh gehört der Gefühlssphäre an und hat eigentlich mit Intelligenz nichts zu tun. Die andern von der Kompagnie, die sich für gescheit hielten und Baumann ob seiner Dummheit verachteten, waren ihm in dieser Beziehung sicher nicht überlegen. Schilasky aber schien die Sympathie des Schweizers zu fühlen, er nahm ihn in Schutz, wenn andere ihn plagen wollten. Ja, es entstand sogar eine Art Freundschaft zwischen den beiden. Im November, im Dezember ist der Süden von Marokko ein trostloses Land. Bisweilen friert es in der Nacht – und dann klappern alle jungen und alten Legionäre in den Baracken mit den Zähnen – auch wenn sie sich in drei Decken eingewickelt haben. Fünfzehn, ja achtzehn Grad unter Null zeigt das Thermometer. Aber von acht Uhr morgens an ist die Kälte verschwunden, ein nasser Nebel setzt ein, der sich gegen Mittag in Regen auflöst ... Und bis zum Abend dauert der Regen.
    Schilasky und Baumann gehörten zur vierten Sektion der berittenen Kompagnie vom dritten Fremdenregiment. Ihre Matratzen – grobe, graue Sackleinwand, mit Alfagras gefüllt – lagen nebeneinander auf dem unregelmässig gepflastertenFussboden der Baracke fünf. Schilasky half dem Schweizer, Hemden, Kutten, Kaputs auf dem wackligen Gestell über seinem Kopf vorschriftsgemäss aufbauen. Dafür stand Baumann am Morgen eine Stunde vor Tagwacht auf, um seinem Kameraden anderthalb Maultiere zu putzen.

Weitere Kostenlose Bücher