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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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Wohnung, oder wenn Sie lieber wollen, vor dem Loch, in dem die Familie Zenos haust, die Schuhe ausgezogen, und das hat dem alten Vater scheinbar sehr imponiert, denn er hat mich freundlich begrüsst. Zeno hat Kuskus gekocht, der hat ganz gut geschmeckt; ich habe dann mit dem Vater Tee getrunken und Kif geraucht. Er war wirklich ein sehr sympathischer alter Herr; sein Kopf war glatt rasiert, nur in der Mitte stand ein Büschel Haare aufrecht, um dem Engel Allahs Gelegenheit zu geben, ihn daran zu packen und ihn geradewegs ins Paradies zu entführen, wenn er einmal gestorben war ... Der alte Herr brauchte einen Garten. Er war arm und hatte nur eine einzige Tochter. Die trug er mir an. Ein Neffe des Alten funktionierte als Dolmetscher. So habe ich dreihundert Franken bezahlt ...«
    »Dreihundert Franken«, stöhnte der Adjutant. »Wo hast du die zusammengestohlen, sag mir das, Sitnikoff ...«
    »Ich bin nicht dumm genug, um zu stehlen ... Ich mache das intelligenter, feiner ...«
    »Na ja«, sagte der Adjutant, »das gleicht dir. Dann hastdu Zeno gleich mitgenommen und ihr ein Zimmer gemietet, wohl beim Cantinier?« Sitnikoff nickte.
    »Der Capitaine hat nichts dagegen gehabt, dass ich von Zeit zu Zeit ausserhalb des Postens schlafe ...« meinte er und schnitt ein unschuldsvolles Gesicht. Dann wollte er sich entfernen. Aber der Adjutant verlangte kategorisch, Sitnikoff müsse der gesamten Tafelrunde einen Liter Kartoffelschnaps stiften, er habe ja genug auf der Verwaltung. Sitnikoff tat es, wünschte allen eine gute Nacht und schritt zum Posten hinaus.
    Vor dem Tor wartete Zeno auf ihn. Sie war nicht wiederzuerkennen. Ihr Haar war sauber gekämmt, eine rote Schleife steckte darin, auch leuchtend rote Lederpantoffeln trug sie. Das tätowierte Ornament über ihrer Nasenwurzel strahlte blau, wie ein frischgewaschener Himmel. Die Besatzung des Postens wollte auch das Schauspiel geniessen. Die Leute drängten sich am Tor ...
    Sergeant Sitnikoff schritt würdig dahin, er hatte O-Beine und die Gangart eines alten Kavalleristen. Weltmännisch, wie er nun einmal war, führte er Zeno, indem er ihren Arm etwas unter dem Ellbogen mit seiner Rechten umspannt hielt.
    Seit dieser Zeit wurde Zeno mit Respekt behandelt. Es war gefährlich, den Vorstand des Verpflegungsdienstes zum Feinde zu haben. Er hatte den Wein, er hatte die Seife ... Zeno lernte Französisch. Der dicke Capitaine Chabert, dessen Frau in Frankreich sass und sicher nicht mehr jung war, begann sich für die Freundin seines Sergeanten zu interessieren. Er lud Zeno einmal zum Tee ein, und sie kam auch. Nachher hatte der Capitaine eine zerkratzte Wange. Das sind eben Dinge, die vorkommen können. Der Capitaine sagte natürlich, er sei von Wanzen zerstochen worden und habe sich gekratzt...
    Man nannte Zeno daher »die schöne Wanze«; aber nur im geheimen.
    Der Capitaine trug seinem Sergeanten nichts nach. Seine Revanche bekam er doch. Denn als Sitnikoff nach sechsMonaten vom Colonel nach Fez eingefordert wurde, weil sich dort die Klagen vor Kriegsgericht häuften und kein geeigneter Mann zu finden war, der die Klagen auch juristisch hätte ausarbeiten können, fragte der Capitaine Sitnikoff, was jetzt mit Zeno geschehen solle.
    »Sie können sie haben, mein Capitaine«, sagte Sitnikoff lässig. »Ich kann das Mädchen warm empfehlen. Sie ist freundlich und gutmütig, sie redet nicht viel, sie ist nicht anspruchsvoll ...«
    »Sehr freundlich von Ihnen, Sergeant, aber Sie haben Auslagen gehabt, nicht wahr, ich möchte Ihnen gerne ...«
    »Nicht nötig, mein Capitaine«; Sergeant Sitnikoff war eben als Gentleman auf die Welt gekommen, und er war es geblieben. »Wenn Sie nach Frankreich zurückkehren, so geben Sie dem Mädchen etwas. Zeno wird Geld brauchen können. Aber seien Sie gut zu ihr, nicht wahr? Ich werde noch mit ihr sprechen ...«
    »Aber, Sitnikoff, ich möchte mich gerne erkenntlich zeigen. Was darf ich Ihnen ...«
    »Sie sind gütig, mein Capitaine«, sagte Sitnikoff und lockerte die Achtungsstellung, auf die der Capitaine ohnehin keinen Wert legte, aber Sitnikoff war übertrieben korrekt, »wenn ich um etwas bitten dürfte, so wäre es um eine Flasche Anisette.«
    Anisette ist ein Schnaps, der stark dem Absinth ähnelt. Meistens ist es sogar purer Absinth ...
    So wurde Zeno für eine Flasche Anisette die treue Dienerin Capitaine Chaberts. Seine Frau in Frankreich hat nie etwas von diesem Handel erfahren, sonst ...
    Und für Zeno war es auch gut. Hätte sie

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