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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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ins Zimmer, liess sich sogar streicheln, aber nur von meinem Onkel, und flog dann wieder fort. Manchmal verzehrte sie auch gnädig ein Stück kaltes Rindfleisch. Zuerst hasste meine Tante das Viehzeug, wie sie sagte, aber sie gewöhnte sich an den stillen Vogel, besonders später, als Berthe nicht mehr im Hause war. Die Eule war auch schuld, dass die Geschichte mit dem Homöopathen so gnädig verlief.
    Als nämlich mein Onkel von dieser geheimen Konsultation erfuhr, wurde er, wie mir meine Tante erzählte, ganz blau im Gesicht. Er wankte ein wenig, stand dann gerade, ging mit steifen Schritten zum Kamin, nahm von der oberen Leiste eine kleine Pendule und warf sie mit Schwung aufden grauen Herdstein. Dann schwankte er zu seinem Lehnstuhl zurück und liess sich hineinfallen. Er sagte nur: »Und ich hab' doch eine ganze Nacht bei ihr gewacht.« Es war merkwürdig, weder dem Pastor, der doch die Konsultation einberufen hatte, noch dem Bürgermeister war er böse. Nur Berthe, die sich eigentlich passiv verhalten hatte, konnte er den »Mangel an Vertrauen«, wie er es mir gegenüber nannte, nicht verzeihen. »Siehst du«, sagte er – und suchte auf dem kleinen Sofa, auf dem er lag, eine bequeme Stellung – »das Vertrauen. Das ist die Hauptsache. Wenn Vertrauen da ist, kannst du Kröteneier geben oder pures Wasser, der Mensch wird doch gesund. Aber wenn das Vertrauen fehlt...« Dann schwieg er eine lange Weile und sah in den rötlichen Schimmer, der durch die Glastüre sickerte. In der Küche nebenan klapperte Tante Amélie mit Tellern. »Und wie sie uns diesen Calve ins Haus gebracht hat. Er war plötzlich einmal da, und dann hat sie ihn geheiratet. Gut und recht. Der Mann wird einmal reich sein, und ich mag es Berthe gönnen. Ich habe nicht gespart und werd' es einmal brauchen können, und Amélie auch. Aber Berthe hätte doch wenigstens ein Wort sagen können. Ich mag ihn nicht, diesen Calve, er ist ja jetzt sozusagen mein Schwiegersohn, aber was soll man mit Leuten anfangen, die beim Essen den Ringfinger abspreizen und den kleinen Finger einklemmen und die faule Witze erzählen, über die man beim besten Willen nicht lachen kann...« Da ging die Türe auf, meine Tante trat ein, der Boden des Zimmers zitterte unter ihren Tritten, sie war sehr voll und rheumatisch auch, das gab ihr ein so hartes Auftreten. Mein Onkel Léon fuhr vom Sofa auf, ergriff ein altes Buch, das auf dem Tisch lag, und begann mit seiner lautschallenden Stimme vorzulesen. Es war jenes Kapitel im Gargantua, in welchem verschiedene Versuche mitgeteilt werden, ein durchaus natürliches Geschäft zu absolvieren. Meine Tante hielt sich die Ohren zu und sagte: »Mais Léon.« Dann aber hörte sie doch auch zu und lachte Tränen.
    Dass es viele Kämpfe gegeben hat und viele Schwierigkeiten,bis Berthes Heirat zustandekam, ist mir von den verschiedensten Seiten bestätigt worden. Pastor Leblanc zum Beispiel, der ausser für Homöopathie noch für Verlaine schwärmte und dessen »Alles übrige ist Literatur« gern zitierte, wurde doch einmal ganz pathetisch und sagte: »Dein Onkel hat sich aufgeopfert, und was hat er nun als Dank?« Ein andermal, als es feststand, dass die beiden alten Leute das Haus verlassen mussten, in dem sie dreissig glückliche und ruhige Jahre gelebt hatten, während Berthe es hätte verhindern können, sagte meine Tante: »Er hat doch recht gehabt, sie hat kein Herz.« Das war nun eine ziemlich billige Behauptung; denn irgendein Rest blieb, ein ungeklärter Rest, der Berthes Verhalten, wenn nicht entschuldigte, so doch irgendwie verständlich machte. Ich kam durch einige sonderbare Andeutungen meines Onkels auf die Spur, will aber nicht behaupten, dass diese »Imponderabilien«, wie psychologisch geschulte Leute sagen, diese »Unwägbarkeiten«, in Berthes Verhalten eine Rolle gespielt haben.
    Wenn nämlich Onkel Léon über seine Adoptivtochter sprach (er hatte Berthe kurz vor der Heirat regelrecht adoptiert, um den »Schandfleck der unehelichen Geburt« zu tilgen, wie die Mutter Calve Berthens zivilrechtliche Stellung nannte), so kam er fast immer auf zwei Bücher zu sprechen. »Kennst du«, fragte er dann, »das greuliche Buch jenes Erzschmierers Zola? Es heisst Doktor Pascal. Und es ist weniger schlecht als seine übrigen. Ein alter Doktor, der sich mit siebzig Jahren in ein junges Mädchen verliebt, es heiratet und mit ihr glücklich wird? Kennst du nicht? Schadet nichts. Aber das Buch Ruth kennst du? Booz und Ruth? Schön,

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