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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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Kaminsims sass, genau an der Stelle, an der einstmals die nun zerschmetterte Pendule gestanden hatte.
    Merkwürdigerweise schloss er sich in dieser Zeit an den Pastor Leblanc an. Dies war ein älterer, unauffälliger Herr, Vegetarier, Abstinent, und, wie ich schon erzählt habe, Homöopath, alles Attribute, die meinem Onkel in der Seele zuwider sein mussten. Und doch verstand er sich sehr gut mit diesem tugendhaften Herrn, der im Grunde, und besonders andern Leuten gegenüber, sehr large Ansichten hatte. Darum überraschte es mich, dass er in den Gesprächen mit meinem Onkel sehr scharf, sehr boshaft sogar, gegen Berthe loszog. Er tat dies aber hinterhältig und verbarg dabei seine Augen hinter den schweren Lidern. Anfangs pflichtete mein Onkel ihm bei, beklagte sich bitter über die Undankbarkeit der Menschheit, ohne andere Antworten zu erhalten als: Das sei nun einmal so, schön sei es nicht, aber ... und dann griff Herr Leblanc Berthes Charakter von einer andern Seite an. Auch hier stimmte ihm mein Onkel zuerst zu, bis ihn Herr Leblanc durch das Preisen der homöopathischen Behandlungsart (ich höre noch seine leise, spitze Stimme, wenn er sagte: »Mein lieber Doktor, es hilft Ihnen alles nichts, es ist nicht nur Suggestion, selbst Pferde werden von den Pillen des Grafen Mattei gesund«) so in Harnisch gebracht hatte, dass Onkel Léon, sobald die Rede wieder auf Berthe kam, diese zu verteidigen begann. Zuerst unwillig, dann eifriger, bis er sich an einem Abend zu einer Erklärung verstieg, die etwa folgenden Sinn hatte: Die nachfolgende Generation fühle sich immer verpflichtet, genau das Gegenteil von dem zu tun, was sie bei den Eltern gesehen habe. Die Kinder von Geizkragen seien gewöhnlich Verschwender, die Söhne von Trunkenbolden Abstinenten (womit er nicht persönlich zu werden gedenke,fügte er hinzu, mit einem Neigen des Oberkörpers – und der Pastor quittierte die Entschuldigung mit einem kaum merkbaren Lächeln); nun, er, der Dr. Courvoisier, habe immer gerne breit gelebt, nichts gespart, das sei vielleicht bei Berthe ins gerade Gegenteil umgeschlagen. Man kenne übrigens viele Beispiele, dass gerade reiche Leute viel ängstlicher mit ihrem Gelde umgingen als arme. Wer gebe die reichlicheren Trinkgelder, der Millionär oder der Schwerarbeiter? Pastor Leblanc solle sich einmal bei den Kellnerinnen erkundigen. Daher sei es nicht verwunderlich, wenn Berthe nun, da sie reich geworden sei, plötzlich anfangen wolle zu sparen. Das sei nun einmal so, und menschlich sehr begreiflich. Wozu er aber immerhin zu bemerken wünsche, dass ein Begreifen einer Handlung noch lange nicht ein Verzeihen dieser Handlung bedeute ...
    An dieser Stelle unterbrach ihn der Pastor sehr ruhig: Mehr habe er auch gar nicht erwartet, ihm genüge vollauf diese Einstellung, und er sei froh, den Doktor zu einer vernünftigen Auffassung der ganzen Angelegenheit zu bringen. Onkel Léon schwieg zuerst, dann zog er die Lippen ein, wölbte sie wieder vor und sagte dann scharf: »Sie hätten Jesuit werden sollen, Pastor.« – »Ach Gott«, erwiderte Herr Leblanc. »Jesuit? Warum den heiligen Ignatius bemühen? Genügt Ihnen Sokrates nicht? Ich habe meine Methode eher von diesem gelernt. Und mir scheint, er passt auch besser zu Ihrer Eule als der Spanier.« Mein Onkel nickte. Er schaute auf zum Kaminsims. Aber dieser war leer. Die Eule war ein einsamer Vogel und abhold jeglicher Geselligkeit.
    Der endliche Käufer des Hauses, ein Genfer Bankier, brauchte das Haus erst im Frühling. So feierten wir noch Neujahr im alten Hause. In der Silvesternacht standen die beiden Alten Arm in Arm vor der Tür, als es zwölf Uhr schlug. Strenge Kälte war in der Luft, der Himmel war schwarz, aber deutlich klang das Dröhnen der grossen Glocke von St.Pierre durch die Nacht. Dann tranken wir Grog. »Dreissig Jahre, meine Alte«, sagte mein Onkel undstiess mit seiner Frau an. Da pickte die Eule an die Fensterscheibe.
    Im Frühjahr bezog mein Onkel eine kleine Wohnung ausserhalb des Dorfes. Er lebte ärmlich, man hatte ihn abgesetzt als Gemeindearzt, wenig Patienten suchten ihn auf, und von diesen nahm er kein Geld. An einem Sonntag, Ende Juni, kam ich ihn besuchen. Es war gegen Abend, und nur meine Tante war daheim. Sie war unruhig, weil ihr Mann schon seit zwei Stunden fortgegangen war. Sie erzählte mir, der Onkel sei sehr gealtert; in diesem Jahre sei er zum ersten Male ganz offen in die Predigt des Herrn Leblanc gegangen. Nicht dass er sich bekehren

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