Erzählungen
nicht wahr?« Dann schwieg er meistens, blickte schweigend die Decke an, und dabei stach sein kurzer Spitzbart senkrecht in die Luft. Er schnaufte geräuschvoll. »Es war doch schön, als sie krank war«, sagte er still. »Ich hab' bei ihr gewacht. Du wirst es noch erfahren, deine Tante versteht nichts von Krankenpflege. Hühnersuppe kann sie kochen, das ist alles. Aber ich habe bei Berthe gewacht. Ich binmit ihr spazieren gegangen, trotz ihrem Verrat«, damit meinte er die Konsultation des Homöopathen, »und die Abende waren schön. Ihre Hand war ganz leicht, wenn sie auf dem Ärmel meines Pelzmantels lag.« Ich muss wohl ziemlich erstaunt dreingesehen haben, derart lyrische Ergüsse war ich bei meinem Onkel nicht gewohnt, denn mit einem »Das verstehst du nicht, du junger Hund!« sprang er auf, holte seinen Pelzmantel und storchte mit weit ausholenden Schritten zum Gastwirt Raymond ins Dorf, um dort seine Flasche Bier zu trinken. Sie bekam ihm gewöhnlich schlecht, denn er hustete dann viel, auch war manchmal Blut in seinem Taschentuch zu finden.
Die Hochzeit Berthes! Sie wurde in Jussy gefeiert. Die Schwiegereltern der Braut müssen ein Albdruck gewesen sein. Frau Calve, eine dürre, distinguierte Dame, ganz in Lila, mit teuern Spitzen um den sehnigen Hals, ihr Mann, klein, gepolstert, mit einem rosigen Babygesicht, der seine Gattin mit kindlichem Respekt behandelte. Er hatte Grund zu dieser Haltung, denn er war stets mit einem schlechten Gewissen belastet. Seine Frau hatte das Geld, er vegetierte so nebenher und war bei allen Damen beliebt. Seine kleinen Seitensprünge waren stadtbekannt. Dann habe ich noch die Photographie des Brautpaares gesehen. Jules Calve, kahlen Hauptes, schaut missmutig vor sich hin; sein Gehrock ist auf Seide gearbeitet, aber die groben Schuhe passen nicht zu diesem Tenue. Berthe neben ihm hat ein merkwürdiges Lächeln in den Mundwinkeln. Dieses Lächeln, sagte Tante Amélie, sei immer um Berthes Mund erschienen, wenn ihr Bräutigam zärtlich mit ihr geworden sei, ihr die Hände geküsst oder ihr Haar gestreichelt habe. Ich habe über dies Lächeln nachgegrübelt, denn es kam mir sonderbar vor, obwohl ich seine klare Ursache zuerst nicht recht zu begreifen wusste. Bis ich es verstand. Es ist ganz einfach das Lächeln des kleinen Kindes, das sich lange Zeit im Dunkeln gefürchtet hat, und plötzlich sieht es den tröstlichen Schein der Lampe, welche die Mutter in Händen hält. Dann ist die Sicherheit da. Unsicher war Berthes Kindheit gewesen, diePariser Portierloge und der Bauernhof in der Provence müssen noch sehr lebendig in ihr gewesen sein. Und war etwa Onkel Léons Haus Sicherheit? Der Doktor verdiente gut, gewiss, besonders früher, aber er hielt ein gastfreies Haus, er hatte nichts erspart. Sollte sie Lehrerin bleiben, ihr Leben lang, die alten Leute unterstützen mit ihrem kleinen Gehalt? Jules war die Sicherheit, der kahle Jules, über den sich Onkel Léon immer lustig machte. Jules bedeutete eine Wohnung, ein sicheres Auskommen, später eine Villa, ein Auto vielleicht. Ich mochte Berthe nicht, aber zu begreifen war ihre Heirat immerhin.
Die Trauung fand in der Kirche in Jussy statt, und Pastor Leblanc hielt die Rede. Tante Amélie spielte die Orgel. Lange hatte sich mein Onkel besonnen, ob er mit seiner zehnjährigen Gewohnheit brechen und offen in die protestantische Kirche gehen wollte, entschloss sich aber dann, sich selbst treu zu bleiben. Er wartete, bis alle in der Kirche versammelt waren, dann stahl er sich behutsam durch die offene Tür, der Küster hatte ihm, wie sonst, einen Stuhl hinter die Orgel gestellt, und dort wohnte er verborgen der Feierlichkeit bei. Es waren wenig Leute geladen, man ass im Garten des Doktorhauses. Die Eltern Calve wurden durch die ziemlich freie Tischrede meines Onkels leicht skandalisiert, verbargen es aber. Sonst verlief die Feier ohne Zwischenfall. Die Hochzeitsreise machte das Paar an die Riviera. Ein ziemlich ausgefallener Gedanke, denn es war Sommer.
Und dann wurde den alten Leuten noch ein ruhiges Jahr geschenkt, ein schwerer Herbst mit vielen Birnen im verwilderten Garten und dem Trommeln der herabfallenden Rosskastanien an den windigen Abenden, ein Winter, mit dem klagenden Pfeifen der Bise ums Haus, und ein warmer Frühling mit dem feuchten Brausen des Föhns. Im Sommer aber begann es, Schlag auf Schlag.
Der neue Arzt, Dr. Trémoillère, hatte Kapital. Er baute sich ein eigenes Haus, auch ein Auto schaffte er sich an. Es
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