Erzählungen
letzte muss ich wohl gesagt haben, denn der Herr sah mich an. Die Pupillen seiner Augen waren gross. Ich nickte ihm zu, und er kehrte sich ab.
Dann ging ich auf und ab. Plötzlich wurde es dunkel. Der Bahnhof verschwand, überall lagerten nächtliche Wolken, darüber glänzten faustgrosse Sterne und gaben ein mildes, goldenes Licht. Fast sah es aus wie die Dekoration zu einem Zaubermärchen, aber es war viel wirklicher, ohne den widerlichen Beigeschmack der Kartonkulissen. Auf diesen Wolken kam ein Wagen näher gerollt, den vier schwarze Strausse zogen. Die Schwanzfedern der Vögel wehten wie Wimpel, und solche Federbüsche hatte ich auch auf den Köpfen der Pferde gesehen, die einen Leichenwagen zogen. Der Wagen war schwarz, sah aus wie eine altertümlicheChaise. Juliette sass darin. Neben ihr war noch ein Platz frei. Sie winkte mir und sprach – scheinbar. Denn ich hörte keinen Laut. Jetzt erst fiel mir die grosse Stille auf, die über den Wolken lag. Dann hielt der Wagen an, ich wollte einsteigen, da hörte ich einen dumpfen Donner, dessen Rollen immer mehr anschwoll. Und eine Hand packte mich am Arm.
Ich sah das Gesicht des gelben Herrn. Der Mund darin arbeitete heftig, aber ich verstand kein Wort. Der Donner rollte an meinen Ohren. Da stand ich auf dem Bahnsteig, und eine Schnellzugslokomotive fuhr an mir vorbei. Auf einem Puffer wehte etwas, das aussah wie ein schwarzes Kleid. Ich wollte mich losreissen, dort sass doch Juliette, und ich musste zu ihr. Aber der gelbe Herr hatte knochige Finger, die hielten mich fest. Nun verstand ich auch, was er schrie (er musste schreien, der Zug lärmte und pfiff). »Was sind das für Sachen«, schrie der gelbe Herr. »In die Maschine hineinzulaufen. Wollen Sie sich umbringen?«
Ich muss ihn ziemlich dumm angesehen haben, denn er lächelte ein wenig. Dann sah er mich an, so, von oben bis unten, wie etwa ein Rosstäuscher ein Pferd ansieht, das er kaufen will. Inzwischen hatte sich der Zug beruhigt. »Bisschen melancholisch? He?« sagte der gelbe Herr. »Luftveränderung notwendig? Wie?« Er hatte eine Stimme, die sich bei den Fragewörtern überschlug. »Liebeskummer? Was?« Er lächelte immer noch, seine Zähne waren gelb und breit. »Stenographie? Maschinenschreiben? Ja?« Ich nickte. Sein Sekretär sei krank geworden, ob ich mitkommen wolle? Er müsse seine Memoiren weiter diktieren. Er schwenkte ein Fahrscheinheft, packte mich am Arm und schleppte mich in den Zug. Wir fuhren nach Paris.
Ich bin nicht lange bei ihm geblieben. Seine Memoiren waren wirklich schlecht, und ich konnte seine Stimme nicht mehr hören. Aber ich muss ihm wohl dankbar sein. Sonst läge ich wahrscheinlich doch in der feuchten Erde dort oben.
Du schweigst? ... Es war doch eine so schöne Geschichte.Aber jetzt will ich meinen Kopf auf deine Schulter legen. Dein Arm ist kühl, und deine Haut schmeckt noch ein wenig nach dem Salz des Meeres. Später wollen wir durch die Rebberge heimgehen und nach reifen Trauben suchen. Die Beeren werden noch warm sein von der Sonne ... Ja, und weisst du ... Schwestern sind eben selten im Leben, man findet sie nur, um sie wieder zu verlieren. Aber nach dem Tode wird das Leben ja so lange sein. Man muss nur Geduld haben ...
Beichte in der Nacht
Nun, junger Mann? Was sagen Sie jetzt? Sie haben wohl nicht gedacht, dass ich mich an Ihren Tisch setzen würde? Sie waren tapferer, als Sie mit Ihrer Suite zusammensassen, den aufgedonnerten Mädchen – obwohl aufgedonnert ein altmodisches Wort ist und abgedonnert für Ihre Begleiterinnen besser passen würde. Als Sie in Gesellschaft waren, da hatten Sie ein besseres Maul. Warum sind Sie auch zurückgeblieben, allein? Ein wenig Kater gehabt? Die Gesellschaft ist Ihnen auf die Nerven gegangen? Ja, Sie waren sehr lustig, und ich war die gegebene Zielscheibe Ihrer Witze. Mein altmodischer Smoking, meine Leibesfülle. Glauben Sie mir nur, die täuscht. Ich bin gar nicht so dick, wie Sie meinen, gepolstert könnte man eher sagen, und es gibt Frauen, die dies zu schätzen wissen. Natürlich spreche ich nicht von der Art Dämchen, die Sie da um sich versammelt hatten. Richtige Frauen, meine ich, die noch Gefühl haben für den Wert, den transzendentalen Wert eines Mannes. Und der liegt nicht in einer modischen Kleidung, liegt nicht in der Tatsache, dass einer gut tanzen kann – der Wert, von dem ich spreche, liegt tiefer, glauben Sie mir. Aber das versteht die Jugend nicht, das verstehen die Frauen nicht, solange sie noch jung
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