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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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sind, Ausnahmen gibt es natürlich; wissen Sie, was ein grosser Dichter über uns Männer sagt, die der Schlankheit entbehren? Natürlich wissen Sie es nicht. Sie sind nur orientiert über den Demi-Final und den letzten Boxsieg, aber dass es einmal einen Dichter gegeben hat, der Shakespeare hiess – was? Sie haben den Namen auch gehört? Den Namen? Haha. Aber sonst wissen Sie nichts von dem Herrn? Oder? Wann er gelebt hat? ... Schulweisheit, selbstverständlich, und Sie stehen im praktischen Leben. Da war doch Ihr Doppelgänger ein anderer Kerl ...
    Ja, glauben Sie vielleicht, ich hätte mich zu Ihnen gesetzt, weil Ihre Visage mich angezogen hat? Da trompieren Sie sich schwer. Der Grund liegt viel tiefer. Sie gleichen jemandem, Sie gleichen ihm dermassen, dass ich einen Augenblick gedacht habe, er sei es. Darum habe ich auch versäumt, Sie zur Rede zu stellen, als Sie mich auslachten, ob meiner Dicke. Ich bin dick, junger Mann, gewiss bin ich dick, aber kann ich etwas dafür? Mein Vater war dick, meine Mutter war dick, ich selbst, mein Herr, habe zwei Abmagerungskuren durchgemacht. Mit welchem Erfolg? Nun, den Erfolg sehen Sie ja. Wir wollen etwas trinken ... Lasst dicke Männer um mich sein, sagt Shakespeare, und die nachts gut schlafen – oder so ähnlich. Aber da macht der englische Dichter einen Fehler. Mein Schlaf ist nicht gut, meine Verdauung will nicht recht funktionieren, das wird es wohl sein. Ich habe übrigens letzthin einen Spezialisten konsultiert, er hat mir Diät verschrieben, gut und recht, er will eine neue Kur an mir probieren. Aber ich kann mich doch nicht einen Monat ins Bett legen. Was denkt er auch! Ich habe Pflichten gegen die Gesellschaft, ich stehe auf einem verantwortungsvollen Posten, wenn ich die Arbeit nicht tue, ist keiner da, der mich ersetzen könnte ... der mich ersetzen kann. Aber wenn ich nun sterben sollte, wird man mir wohl einen Nachfolger geben. Nun, der soll dann sehen, wie er zurecht kommt. Glauben Sie mir, ohne mich ist der Finanzdirektor hilflos wie ein kleines Kind. Unsere Stadt würde schon lange mit einem Defizit arbeiten, wenn ich nicht wäre. Ich bin es, der immer alles ins Geleise bringt, der unmögliche Projekte einfach in den Papierkorb wirft oder sie in einem Aktenschrank verschwinden lässt – zur gelegentlichen Erledigung. Haha, hahaha, das ist ein Witz von mir, eine Trouvaille, wie der Franzose sagt. Zur gelegentlichen Erledigung! Gut gesagt, nicht?
    Ah, hier kommt der Wein ... Aber Emmy, ich habe Ihnen doch deutlich befohlen, den Wein zu temperieren, und er ist eiskalt ... Nein, nein, liebes Kind, wo denken Sie hin, ihn wieder mitnehmen, wo er doch schon da ist? Nein, dawärme ich lieber mein Glas in den Händen ... Hübsches Kind, nicht wahr? ... Nicht Ihr Geschmack? Sie sind wählerisch, aber auf eine falsche Art. Im Grunde sind Sie ein Vielfrass, Sie nehmen jede, die sich Ihnen anbietet, hab' ich nicht recht? ... Nein? ... Aber ein Feinschmecker sind Sie nicht, ich sehe das an der Art, wie Sie diesen Wein hinunterschütten. Den Wein lässt man auf der Zunge zergehen, man kostet ihn aus. Und mit den Frauen? ... Haha, lieber Herr, mit den Frauen dito, desgleichen. Wie heisst das schöne Lied? »Wenn man fünfzig ist, man noch gerne küsst, besonders wenn man spaaaarsam gewesen ist«, aber »wenn man sechzig ist, schmeckt allaaain nur der Waaaain.« Hehe. Sie hören, wir alten Herren sind auch noch auf der Höhe, wenn es sich um die neusten Schlager handelt. »Schmeckt allaaain nur der Waaain.«
    Verzeihen Sie, ich singe nicht mehr gut, aber es gab eine Zeit, da hatte ich eine schöne Stimme, eine richtige Baritonstimme. Und ich habe sogar einmal in unserer Kirche gesungen, im Chor versteht sich, aber ich hatte ein Solo. Alle Leute haben mich nachher beglückwünscht. Sie waren ergriffen. Ich habe mich manchmal gefragt, ob ich nicht hätte zur Oper gehen sollen, mich ausbilden lassen. Theater, Erfolg, das wäre etwas für mich gewesen. Aber ich habe eben die ernstere Seite des Lebens vorgezogen. Lassen Sie sich sagen, und beherzigen Sie meine Worte: Das Leben ist kein Kinderspiel! Ihr Doppelgänger, der Mann, dem Sie ähnlich sehen, er glaubte auch, das Leben sei da zum spielen, aber er hat sie bitter bereut, seine Einstellung. Er ist verdorben und vielleicht gestorben, das weiss ich nicht. Und ich hatte mir so Mühe gegeben, ihn vor dem Abgrund zu retten, aber er war undankbar, hat mich betrogen, bestohlen, seine Schulden habe ich zahlen müssen. Er war nur

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