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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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Versunkensein. Aber ihre stete Gegenwart machte auch die Finsternis jener zeitlosen Ewigkeiten erträglich, in denen kein Tag ist, nur der Schein verblichener Sterne.
    Hier, auf Erden, schlichen wir aneinander vorbei, wie Schatten, die ihren Leib verloren haben. Manchmal sprach ich von diesen Dingen zu ihr. Dann kam jenes Lächeln wieder, jenes Lächeln mit geschlossenem Mund, das in einem meiner Träume auf ihrem Gesicht entstanden war, bevor ich es in Wirklichkeit gesehen hatte.
    Während der Zeit, in der ich mit ihr zusammen war, gab es nur einen Ansatz zu einem Unglück. Wir waren zusammen in die nahe Hauptstadt gefahren, an einem Samstagabend, den Sonntag wollten wir dort verbringen. Der Zug stand still, ich stieg zuerst aus; als ich einen Fuss auf den Bahnsteig setzte, ruckte der Wagen und fuhr einige Meter zurück. Ich warf mich nach vorn und fiel auf die Knie. Juliette stand bleich hinter mir. »Fast wärest du unter den Zug geraten«, stotterte sie. Aber nur der obere Teil ihres Gesichtes zeigte Angst: Die Augen, die gefurchte Stirne; geschlossen lächelte der Mund.
    Nach einem Monat merkte ich erst, wie stark ich mich verändert hatte. Ich ging nicht gerne in das Büro, daskannst du mir glauben. Aber nun kam eine Gleichgültigkeit über mich, die ich früher nicht gekannt hatte. Ich verliess meine Stellung und blieb tagsüber zu Hause. Und wartete. Auf was ich wartete, weiss ich nicht, oder besser, ich kann es nicht beschreiben. Ich war immer müde, lag auf dem Bett und redete mir ein, ich warte auf den Abend. Denn am Abend kam sie, immer pünktlich. Aber doch wusste ich, dass ich auch in den Stunden, in denen sie bei mir war, auf etwas wartete. Und sie fühlte es. Einmal erzählte ich ihr, ich hätte fast kein Geld mehr. Es war eine Lüge, ich hatte noch eine kleine Summe auf der Bank, aber diese wollte ich nicht angreifen. Es war meine Reserve, eine unbewusste Vorsicht vielleicht. Sie bot mir sogleich Geld an. Und ich nahm es.
    In der letzten Zeit sprach sie viel vom Tode. Ich wusste genau über die Kranken Bescheid, die in ihrer Pflege starben. Manchmal fragte ich sie auch, was aus uns werden solle; ob wir heiraten wollten, sie habe doch Familie, und im Spital würde doch sicher über unsere Freundschaft geklatscht. Sie zuckte mit den Achseln und schwieg. Nur einmal sagte sie: »Wir werden wohl bald erlöst sein.« Ich lachte ein wenig über diese Antwort.
    An einem Abend kam sie nicht, auch am nächstfolgenden fehlte sie. Ich lag in meinem Zimmer und wartete. Viel habe ich nicht gegessen in diesen Tagen und Nächten. Und dann lag ich immer im Dunkeln. Ich durfte die Lampe nicht anzünden, das war ihr Amt und nicht mehr meins. Manchmal war es mir, als riefe sie nach mir. Ihre Stimme war dünn und ängstlich. Endlich am dritten Tag ging ich ins Krankenhaus und fragte nach ihr.
    Der Portier war mürrisch. Sie sei gestorben, sagte er, und das Begräbnis sei morgen. Dann schlug er das Tor zu. Es war etwa vier Uhr nachmittags. Ich ging auf die Bank und holte mein Geld. Aber glaubst du, dass ich wusste, was ich damit anfangen sollte? Einen Augenblick freuten mich die Scheine. Ich könnte damit irgendwohin essen gehen, dachte ich, und nachher in den Zirkus oder ins Kino. Aberdann verschwanden diese Wünsche wieder, und es war sehr einsam auf der Strasse. Die Wolken am Abendhimmel waren fettigrot wie zerlaufene Schminke. Darum hab' ich sie immer rufen hören, dachte ich, das war, weil sie krank war. Und nun sollte ich sie nie mehr sehen. Aber ich hatte sie doch schon früher gekannt, sie war als kleines Mädchen zu mir gekommen, damals, und sie trug ein rotes Kleidchen und erzählte Märchen. War sie es wirklich, oder hatte ich das nur als Kind geträumt?
    Ich war in meinem Zimmer angekommen und packte meine wenigen Sachen zusammen. Die Miete war vorausbezahlt. Was sollte ich noch in der dunklen Stadt? Ich ging zum Bahnhof.
    Dort kaufte ich eine Bahnsteigkarte, ja, wirklich, ich habe es damals nicht gewagt, ein Billett nach irgendeinem Ort zu kaufen. Ich trat auf den Bahnsteig hinaus und ging neben den Schienen hin und her. Es waren nur wenige Leute da, die auf einen Zug warteten. Aber sie kamen mir ausserordentlich unwirklich vor. So verschwommen schienen sie, ohne feste Konturen. Nur einen gelben Herrn sah ich deutlich, der in einem dicken Pelzmantel zu frieren schien. Ich dachte, er kommt sicher aus den Tropen und ist leberkrank. Oder vielleicht ist die Galle nicht in Ordnung. Auch er muss bald sterben. Das

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